Süddeutsche Zeitung

Sendling:Nichts bleibt, wie es ist

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Die Stromerzeugung wird modernisiert, die Geothermie ausgebaut und Fernkälte erstmals installiert: Dem Heizkraftwerk Süd stehen massive Neuerungen bevor - und einem Wahrzeichen Sendlings droht das Aus

Von Birgit Lotze, Sendling

Es könnte sein, dass bald ein nicht unbedeutender Teil der Sendlinger Silhouette verschwindet: Der höchste Schornstein auf dem Heizkraftwerk (HKW) Süd wird eventuell abgerissen, zumindest gekürzt. Früher diente der 176 Meter hohe Turm als Kamin für eine Hochdruckanlage, danach, seit 2004, für ein kleines Heizwerk, das nun nicht mehr gebraucht wird. Im Mai wurde es abgestellt. Bei den Stadtwerken München (SWM) sei man sich bewusst, dass der Schornstein "städtebaulich ein Erkennungszeichen für Sendling" ist, sagt der Leiter des HKW Süd, Thomas Gilg. Man tendiere dazu, das Bauwerk zu erhalten. Doch das müsse geprüft werden. An die Stelle des ausrangierten Heizwerks solle jedenfalls eine moderne Gasturbine kommen. "Und für die bräuchten wir eigentlich keinen Turm."

Vieles soll sich ändern in den kommenden Jahren auf den städtischen Arealen an der Isarseite Sendlings. Auf die Anwohner kommen voraussichtlich massive und langwierige Bauarbeiten zu. Der Teil des Großmarkt-Geländes direkt gegenüber vom Kraftwerk, getrennt nur durch die Schäftlarnstraße, ist derzeit für den Neubau der Großmarkthalle im Gespräch - parallel zum HKW, über eine Länge von 250 Metern und mit aufgesetzten Penthouse-Wohnungsblöcken bis zur zehnten Etage.

Dagegen wird vom HKW-Umbau vergleichsweise wenig Lärm erwartet, auch wenn die Stadtwerke viel vorhaben: Das Werk soll für die Geothermiegewinnung ausgebaut werden, die Gaskraftwerke zur Stromgewinnung werden modernisiert. Darüber hinaus wird das Kraftwerk für Fernkälte ausgebaut. Kaum etwas soll bleiben, wo es ist. Gebaut und verlegt wird von Herbst an, im Jahr 2022 sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein.

Die zwei bestehenden Gasturbinen im Süden nahe dem Brudermühltunnel werden durch zwei neue Turbinen mit höherer Leistung und höherem Wirkungsgrad ersetzt. Betriebschef Gilg rechnet mit deutlich geringeren Schadstoffemissionen bei der Stromproduktion. Die Werte des Ausstoßes von Stickoxid und Kohlendioxid sollen mit den modernen Turbinen um mindestens ein Drittel fallen, teilweise sogar halbiert werden. Auch die Gasturbine an der Nordseite wird erneuert, wenn sie auf das Areal in der Mitte des Kraftwerks unter dem großen Schornstein verlegt wird. Mit dem Rückbau der alten Turbine im Norden soll noch in diesem Jahr begonnen werden, mit dem Neubau ist etwa 2020 zu rechnen, 2022 sollen die neuen Turbinen in Betrieb gehen.

In einem 150 Meter langen, schmalen Riegel an der Westseite entlang der Schäftlarnstraße wird von 2020 bis 2021 eine Anlage für Fernkälte installiert. Sie soll die Kühlhäuser des Großmarkts und des Schlachthofs versorgen und außerdem die Stadtgebiete bis zum Hauptbahnhof. Mit der Fernkälteanlage wollen die Stadtwerke Kraftwerkswärme zur Kälteerzeugung nutzen. Auch soll ein Fernkältenetz aufgebaut werden, das die bereits bestehenden Kältezentralen am Odeonsplatz und am Stachus aufnimmt.

Bei den Baumaßnahmen für die Wärmeproduktion steht die Geothermie im Fokus. Seit April wird gebohrt. Am Montagmorgen in dieser Woche war es erstmals so weit: Bei der ersten Bohrung von insgesamt sechs wurde die vorläufige Bohrlochtiefe erreicht. Für Freitag sind sogenannte Testarbeiten geplant, bei denen viel sichtbarer Wasserdampf erwartet wird. Rund 100 000 Liter heißes Wasser sollen dann aus einer Tiefe von 2840 Metern entnommen werden. Am 20. Juli würden erste Ergebnisse bekannt, wie heiß das Wasser dort unten sei und wie viele Liter das Bohrloch bringe, sagt Joachim Lewalter, Geothermie-Planungsleiter bei den Stadtwerken. Entnommen wird das Wasser nicht unter dem HKW, sondern aus der Tiefe aus der Gegend Auer Mühlbach und U-Bahnhof Kolumbusplatz: Die Bohrungen erfolgen nicht senkrecht, sondern in tieferen Lagen eher zur Seite hin, so dass die Bohrlochlänge aktuell 3840 Meter beträgt.

München sitze auf einem Schatz, hatten die Sprecher der SWM schon im vergangenen Jahr geschwärmt. Auf Thermalwasser. Man rechnet mit Wassertemperaturen um die 100 Grad und einer nahezu unerschöpflichen Quelle. Der Plan ist, bis Ende 2020 alle sechs Bohrungen fertig zu haben und dann insgesamt 50 Megawatt Wärmeleistung zu gewinnen. Damit ließen sich 80 000 Haushalte versorgen - das entspräche rund einem Drittel der Stadtwerke-Fernwärmekunden.

Über ein sogenanntes Wärmeeinbindungsgebäude wird künftig die Wärme aus der Geothermie ins Fernnetz eingegeben. Mit dem Bau des Gebäudes soll im kommenden Frühjahr begonnen werden, im Herbst 2020 soll es fertig sein. Das künftig auffallendste Gebäude ist vermutlich der Wärmespeicher, der überschüssige Wärme aus der Geothermie und die Wärme, die bei der Stromproduktion anfällt, aufnehmen soll. Er soll 50 Meter hoch werden und den gleichen Durchmesser haben. Er kommt an die Stelle im Norden, wo 2017 die vier Öltanks abgebaut wurden. Der Wärmespeicher soll 2021 gebaut werden und 2022 in Betrieb gehen.

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SZ vom 05.07.2018
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