Süddeutsche Zeitung

Sehenswürdig:Die Ferne liegt so nah

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Der August-Münchner, der daheim geblieben ist, kann auch in seiner Stadt die weite Welt finden

Von Karl Forster

Jetzt ist die Zeit, die Stadt zu genießen. Halb München ist hinausgefahren in die Welt, und der kluge Rest hat Platz, Luft, Raum und Zeit. Und sollte jemanden ein Gruß von draußen in der Welt erreichen - früher war das ja die Postkarte mit Texten wie "Mir geht es gut, ich hoffe, es geht Euch auch gut, Grüße aus siehe umseitiges Bild", heute erledigen das Instagram oder Whatsapp -, mit Bildern vielleicht, die Fernweh oder gar Neid wecken sollten, dann möge er gelassen bleiben. Denn mit einer kühlen Halben und ein bisschen Fantasie gibt es ein Quantum Trost für den August-Münchner: Seine Stadt ist nicht nur die Weltstadt mit Herz, sondern auch ein Spiegel der Weltstädte: Die Welt ist hier daheim.

Wer etwa Angst hat vor einer Gondelfahrt durch Venedigs Kanal der Giudecca, weil da die Vaporettos durchfetzen und solche Wellen werfen, dass einem schlecht wird, der kann sich von Gondoliere Maximilian Koch vor Schloss Nymphenburg über den Mittelkanal schippern lassen. Das wackelt nicht und - nicht ganz unwichtig - der Gondoliere singt auch nicht. Leider allerdings gibt es hier nicht, wie nahe der venezianischen Haltestelle Zattere, den kleinen Kanal, wo gegen Sonnenuntergang in Dutzenden Läden für wenig Geld Wein und kleine Köstlichkeiten verkauft werden.

Manch Münchner hat sich auch London ausgewählt als Ferienziel, bevor einem der Brexit vielleicht dieses Ziel vergrätzt. Und schickt natürlich ein Bild nicht nur von Tower und Themse, sondern auch vom London Eye, dem mit 135 Meter Höhe größten Riesenrad Europas, das eigentlich die Jahrtausendwende eindrehen sollte, aber dafür nicht rechtzeitig fertig wurde. Nun hat München da (fast) gleichgezogen, mit dem Hi-Sky-Riesenrad im Werksviertel, das zwar nicht ganz so hoch ist, aber genauso lange braucht für eine Umdrehung, nämlich eine halbe Stunde. Und man kann hier, was in London undenkbar wäre, ein Weißwurstfrühstück für die Runde ordern. Nur die Themse fehlt halt.

"Size does matter", sagt der Ami heutzutage gerne. Und so sei ihm gegönnt, dass die New Yorker Freiheitsstatue mit gut 46 Metern fast dreimal so groß ist wie Münchens Bavaria oberhalb der Wiesn. Dafür ist das Münchner Bronzekunstwerk 36 Jahre älter. Wer hier noch mehr New Yorkerisches sucht, dem hätte man gerne den Hickory Grill an der Landshuter Allee empfohlen, weil dieser dem legendären Steakhouse Palms Too an der 2nd Avenue, in Sichtweite des UN-Gebäudes, vielleicht am nächsten kommt. Doch dort feiert man Ferien, so bleibt als Ausweichtipp für New Yorker Kulinarik das Abacco's am Oberanger, (fast) in Sichtweite des einstigen SZ-Gebäudes.

Romantik pur: Wer sich vor Schloss Nymphenburg mit einer venezianischen Gondel herumschippern lässt, genießt gleich zwei weltberühmte Kulturhighlights:...

...die traditionelle Fortbewegungstechnik Venedigs und den Blick auf eines der großen Königsschlösser.

Münchens Bavaria, die in der königlichen Erzgießerei gegossen wurde.

Dem Konstrukteur Gustave Eiffel ist es zu verdanken, dass New Yorks Freiheitsstatue so stabil steht wie die Bavaria.

Dort Sand, hier Kies, aber sonst ist vieles ähnlich: Konkurrenz macht der Copacabana der Flaucher im Süden Münchens.

Die Copacabana von Rio ist einer der schönsten Strände der Welt.

In Münchens Tierpark sorgen sie für Träume und Fernweh.

In Australien sind sie manchmal eine Plage, Trucks sind mit Känguru-Gitter an der Front geschützt.

Little Istanbul nennen die Münchner gerne ihre Landwehrstraße.

Denn dort spürt man das türkische Lebensgefühl.

Wer gerade Abitur gemacht hat, den zieht es meist in die Ferne. Work & Travel heißt das dazu passende Motto, und sehr oft ist Australien der Zielkontinent fürs kleine große Abenteuer. Blöd nur, wenn man unverhofft einen Studienplatz in Medizin ergattert hat, den aufzugeben ungeschickt wäre. Australien in München? Kein Problem: Ab in den Tierpark Hellabrunn, dort wartet, unter anderem, das australische Riesenkänguru auf die Fans von Down Under.

Wenn wir nun schon mal bei den Fernzielen sind, ist für manche Südamerika der große Traum. Und natürlich Rio, und dort natürlich die Copacabana, vor allem für männliche Jugendliche, weil sie von dort Bilder im Kopf haben, die auf den Rest des Körpers ausstrahlen. Oft vergessen sie aber, dass diese vier Kilometer Traumstrand eingesäumt werden vom Atlantik auf der einen und den Favelas auf der anderen Seite. Dass also hier Himmel und Hölle sehr nah beieinander liegen. Das trifft für die Münchner Copacabana, den Flaucher, so nicht ganz zu, weil der Atlantik hier Isar heißt und statt der Favelas ein hübscher Wald mit einem noch hübscherem Biergarten wartet.

Den Großteil der Münchner zieht es aber halt immer noch ans Mittelmeer. Griechenland boomt, Spanien schwächelt etwas, aber die Türkei ist wieder im Kommen. Die meisten Urlauber dort verbringen allerdings diese schönste Zeit des Jahres eingepfercht in künstlich geschaffene Paradiese mit Animation und geldwerten Bändchen am Arm. Die wahre Schönheit und Vielfalt dieses lukullisch so reichen Landes jedoch findet sich inmitten der Städte, in den prall gefüllten Märkten von Izmir, Marmaris oder Antalya. Und natürlich von Istanbul, der so großen wie faszinierenden Stadt am Bosporus mit dem zauberhaften Viertel Çurcuma. Ein ganz klein bisschen von diesem Zauber liegt auch über Münchens Landwehrstraße und ihren Ablegern. Ganz abgesehen davon, dass es hier - unter anderem - die besten Tomaten der Stadt gibt. Und wer ein bisschen Geduld mitbringt beim Einkaufen, hört bei aller Wuseligkeit immer wieder die türkischen Worte "Yavaş, yavaş!". Das bedeutet: langsam, lass dir Zeit. Du hast Ferien!

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SZ vom 14.08.2019
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