Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Nachbarn klagen gegen Kinderlärm - und bekommen Recht

Lesezeit: 3 min

Von Ellen Draxel, Schwabing

"Dieses Urteil ist der Wahnsinn. Damit hat ein Rentner-Ehepaar das Weiterleben des Elki auf dem Gewissen", sagt Ani-Ruth Lugani (SPD). Er ist regelrecht geschockt. Bis zuletzt hatte sich der Vorsitzende des Unterausschusses Soziales im Stadtteilgremium von Schwabing-West nicht vorstellen können, dass das Münchner Landgericht einigen Nachbarn, die gegen das Eltern-Kind-Zentrum Schwabing-Maxvorstadt (Elki) geklagt hatten, Recht geben könnte. Dem Familienzentrum wird mit sofortiger Wirkung die Nutzung der Räumlichkeiten untersagt. Falls sich die Einrichtung nicht daran hält, droht eine Strafe von bis zu 250 000 Euro oder der Initiativen-Vorsitzenden eine bis zu sechsmonatige Haft.

Die Nutzung der Räume als Eltern-Kind-Zentrum sei "ein von der Teilungserklärung abweichender Gebrauch", begründete die Richterin die Entscheidung. Vermietet worden seien die Räume im Erdgeschoss der Nordendstraße 53 als Laden mit Lager. Das Eltern-Kind-Zentrum verfüge aber weder über Verkaufsstände noch würden Waren angeliefert; die Einrichtung sei vielmehr eine Begegnungsstätte. Und man müsse davon ausgehen, dass Geräuschimmissionen Nachbarn deutlich stärker beeinträchtigten als ein Laden.

Für die Richterin ist dabei unerheblich, dass Kinderlärm qua Gesetzesvorgaben privilegiert zu betrachten ist. Es gingen auch Eltern und Großeltern ein und aus, und "für diesen Personenkreis gibt es keine Privilegierung", sagte die Richterin. Außerdem sei relevant, dass gemeinschaftliche Flächen in dem etwa 300 Parteien umfassenden Gebäudekomplex von Besuchern des "Elki" anders frequentiert würden als ein Laden.

Die Kläger hatten im Verlauf des mehrjährigen Rechtsstreits betont, sie hätten nichts gegen Kinder; sie wollten gegen die Lautstärke an sich vorgehen, hieß es. Die Klage im Jahr 2012 hatte das Gericht zugunsten des Vereins entschieden. Dieser hat im Gefolge sämtliche Wände und den Fußboden schalldicht dämmen lassen - doch das spielte bei dem jetzigen Urteil ebenso kein Rolle wie der Umstand, dass die Initiative auf Anraten der Richterin keine Abendveranstaltungen mehr durchführte und nur wochentags von neun bis 18 Uhr offen hat. "Fünf von anfangs sieben Nachbarn, die den Rechtsstreit angestrengt hatten, haben die Klage noch während des Prozesses zurückgezogen - auch das wurde vom Gericht nicht gewürdigt", wundert sich Lugani. "Die Entscheidung ist echt schade für unser Viertel und weit darüber hinaus. Denn ins Elki kommen Leute aus der ganzen Stadt."

Wie beliebt das Eltern-Kind-Zentrum ist, zeigt eine Petition für den Erhalt der Initiative mit mehr als 1100 Unterschriften; die Initiative selbst zählt 250 Mitglieder. "Für mich bedeutet das Elki Vernetzung, Integration, Unterstützung, Freundschaft, Gemeinschaft. Schwabing und München brauchen mehr familienfreundliche Institutionen wie das Elki. Und nicht weniger", schreibt eine Frau aus dem Umfeld der Initiative. Ein Vater sagt: "Es ist eine ganz besondere Einrichtung."

Die Elki will gegen das Urteil kämpfen

"Die Stadt", so kommentiert eine Münchnerin das Urteil, "ist für alle Menschen da, vor allem auch für Kinder und Familien. Es wäre eine sehr traurige Entwicklung, wenn in Schwabing nur noch reiche, alte Menschen leben können und Totenstille in den Straßen herrscht." Eine Mitbewohnerin wundert sich in einem Brief an die Richterin aber auch, "weshalb man bei dem ganzen Streit nicht auf entsprechende Lärmschutzmaßnahmen setzt". Komme man die Treppe herunter, "ist es an einigen Tagen ab dem ersten Stock wirklich ohrenbetäubend laut", schildert sie ihren Eindruck.

Als Erfolgsrezept des Familienzentrums gilt das besondere Ambiente der Offenheit sowie Angebote in mehreren Sprachen. Willkommen sind Menschen aller Nationalitäten; die Mitgliedschaft ist mit 42 Euro pro Jahr sehr günstig. Und es gibt, durchaus ungewöhnlich für Mütterzentren in München, jeden Nachmittag von halb drei bis halb sechs einen offenen Treff, der kostenlos und ohne Voranmeldung besucht werden kann. Unterstützt wird das Eltern-Kind-Zentrum von der Lokalpolitik, vom Stadtjugendamt und vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, die Landesbehörde für soziale Leistungen beim Bayerischen Sozialministerium.

Die Stadt hat sich bisher noch nicht eingeschaltet; eine entsprechende Bitte erging vom Westschwabinger Bezirksausschusses erst Ende vergangener Woche an die Verwaltung. Zumindest das Stadtjugendamt hat laut der Elki-Vorsitzenden Lara Mosdal vor, zu prüfen, wie die Stadt der Einrichtung helfen kann. Wie soll es nun weitergehen? "Vermutlich werden wir Berufung einlegen", sagt Mosdal. Am morgigen Dienstag will sie darüber mit ihrem Anwalt sprechen.

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SZ vom 03.04.2017
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