Süddeutsche Zeitung

Schuldneratlas:Jeder elfte Münchner ist überschuldet

Lesezeit: 3 min

Von Thomas Anlauf, München

Die Wirtschaft boomt wie in den Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders, in München gibt es nahezu Vollbeschäftigung. Und trotzdem kommen immer weniger Menschen in der Landeshauptstadt mit ihrem Geld aus. Die Zahl der überschuldeten Münchner hat einen neuen Rekordstand erreicht: Knapp 110 000 Erwachsene sind derart verschuldet, dass sie aus eigener Kraft meist nicht mehr aus der Spirale herausfinden.

Dies geht aus dem neuesten Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervor. Seit dem Jahr 2009 - damals waren es 90 364 Fälle - ist die Zahl der überschuldeten Münchner demnach um gut 21 Prozent gewachsen. Inzwischen ist jeder elfte Münchner bankrott.

Dass die Zahl der als überschuldet geltenden Einwohner innerhalb nur eines Jahres um 4,6 Prozent gestiegen ist, nennt Sozialreferentin Dorothee Schiwy "ein Warnsignal, das wir auch seitens des Münchner Sozialreferats sehr besorgt zur Kenntnis nehmen". Allein in den vergangenen zwölf Monaten rutschten 4800 Münchner zusätzlich in die Überschuldungsfalle. Diese "nachhaltigen Zahlungsstörungen" basieren in München auf den "vorherrschenden hohen Lebenshaltungskosten", wie Philipp Ganzmüller sagt, geschäftsführender Gesellschafter der Wirtschaftsauskunftei Creditreform, die jährlich den Schuldneratlas auch speziell für München erstellt.

Zwar bleibt München verglichen mit den anderen Landeshauptstädten im Spitzenfeld mit einer vergleichsweise geringen Überschuldungsquote. Doch macht sich hier ein Phänomen bemerkbar, das es so in anderen Großstädten nicht gibt: Die Mittelschicht in München ist deutlich stärker von Überschuldung betroffen als im Bundesdurchschnitt.

7,7 Prozent der Menschen, die der sogenannten bürgerlichen Mitte zugerechnet werden, sind so stark verschuldet, dass sie aus eigener Kraft nicht mehr aus der Schuldenspirale gelangen, bundesweit sind es 1,4 Prozentpunkte weniger. Auch das Mittelschichtmilieu, das Soziologen als das "sozialkökologische" bezeichnen, ist mit einer Überschuldungsquote von 8,6 Prozent stärker betroffen als im Bund (7,4 Prozent).

In einer Studie, die nun erstmals die 25 Münchner Stadtbezirke untersucht hat, kam heraus: Hier wird fast jeder zweite dem sogenannten gesellschaftlichen Leitmilieu zugerechnet (was man wohl früher mit Oberschicht übersetzt hätte). Das ist deutlich mehr als im Bundesschnitt, wo nur jeder Dritte dieser Berufs- und Bildungsschicht angehört. Zugleich ist der Anteil der "unteren Mitte" beziehungsweise "Unterschicht" mit 27 Prozent deutlich kleiner als im Deutschlandvergleich (37 Prozent). Damit erklären die Wissenschaftler auch, dass es in München im Schnitt noch eine vergleichsweise geringe Überschuldung gibt.

Doch wo leben die Menschen, die so viele Schulden machen, dass sie nicht mehr aus noch ein wissen? Als "Top-Brennpunkt" gilt laut Ganzmüller Berg am Laim, wo mittlerweile 11,8 Prozent der Erwachsenen ihre Schulden nicht mehr bedienen können. An zweiter Stelle liegt Milbertshofen (11,7 Prozent) gefolgt von Feldmoching-Hasenbergl (11,0 Prozent).

Ganzmüller vermutet, dass der hohe Anteil an Sozialwohnungen insbesondere in Berg am Laim ein Grund für den hohen Wert sein könnten. Denn umgekehrt finden sich in den laut Ganzmüller "besser situierten Stadtteilen" Schwabing-West (6,4 Prozent), Bogenhausen (6,7 Prozent) und Neuhausen-Nymphenburg (7,1 Prozent) deutlich weniger Überschuldete als im Münchner Durchschnitt (8,9 Prozent).

Trotzdem trifft es mittlerweile auch die Mittelschicht, die sich München nicht mehr leisten kann. "Wir stellen fest, dass die Menschen immer mehr Probleme haben, ihr Leben zu finanzieren", sagt Erika Schilz, die die Schuldner- und Insolvenzberatung der Stadt leitet. Laut Schilz hatten im Jahr 2013 noch 40 Prozent der Menschen, die zu ihr in die Schuldnerberatung kamen, mehr als 1300 Euro netto im Monat zur Verfügung. Drei Jahre später waren es bereits 60 Prozent, denen diese Summe nicht mehr ausreicht. Allein eine Mieterhöhung könne mittlerweile ein knappes Haushaltsbudget sprengen, sagt Schilz. Besonders betroffen von den hohen Mieten sind Paare oder Familien, die sich trennen, dann verdoppeln sich die Ausgaben für die zwei Haushalte auf einen Schlag.

Besonders besorgniserregend ist die Entwicklung überschuldeter Menschen im mittleren Alter, vor allem zwischen 50 und 59 Jahren. Viele von ihnen werden sich laut Ganzmüller wohl nicht mehr aus der Schuldenfalle befreien können, weil sie in der Regel keine großen Gehaltssprünge mehr zu erwarten haben. Viele hätten auch keine Altersvorsorge. Ihnen bleibt im Alter meist nur noch ein Leben in Armut.

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SZ vom 20.02.2018
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