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Reaktionen:"Damit wäre eine riesige Chance vertan"

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Philharmoniker, Stadtbibliothek, Volkshochschule und Festivalveranstalter fordern mehr als eine bloße Grundsanierung des Kulturzentrums - mit einer Ausnahme

Anderswo geht es doch auch: Der "Bilbao-Effekt" ist ein stehender Begriff dafür, wenn spektakuläre Bauten wie das Guggenheim-Museum Orte aufwerten und zum Anziehungspunkt werden lassen. Hamburg leuchtet mit der Elbphilharmonie, Helsinki mit seiner neuen Stadtbibliothek, Paris seit 1977 mit dem Centre Pompidou. Aber was wird mit Europas größtem Kulturzentrum? Könnte der Gasteig bei einer Generalsanierung einen "München-Effekt" auslösen? Nutzer beziehen Stellung:

Paul Müller, Intendant der Münchner Philharmoniker: "Der Stadtrat hat im April 2017 mit der Festlegung auf eine Generalsanierung des Gasteig eine kluge, mutige und zukunftsweisende Entscheidung getroffen. München boomt. Der Gasteig verdient eine klare Zukunftsperspektive - zum Wohle und zum Nutzen seiner jährlich 1,8 Millionen Besucherinnen und Besucher. Es wäre ein kulturpolitisch starkes Zeichen, eine Kraftanstrengung wie die Sanierung von mehr als 85 000 Quadratmeter Kulturfläche nicht auf rein technisch-bauliche Aspekte zu beschränken. Die einmalige Chance und Herausforderung liegt im Schaffen einer baulichen Substanz, die für uns progressive Formate und Veranstaltungen möglich macht, gerade für ein junges Publikum. Attraktive Konzertbauten wie in Hamburg und Paris haben geradezu magnetische Wirkung auf neue Publikumsschichten. Vor zwei Jahren haben wir eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung aller Akteure am Gasteig gegründet, die ein übergreifendes Vermittlungsangebot entwickelt hat. Eine Umsetzung in der jetzigen Form und auch mit einer Grundsanierung ist aber schlichtweg nicht möglich.

Die akustische Sanierung der Philharmonie gilt als gesetzt. Denn unbestritten hat der Saal seine Qualitäten - aber auch seine Tücken, akustische Verbesserungen sind zwingend notwendig. So ist die Bühne selbst der kritischste Bereich der Philharmonie, die Musiker können sich einfach nicht gut genug hören, was ein gravierender Nachteil für die Ensemblequalität ist. Dann gibt es Publikumsbereiche, die stark abfallen. Wir wissen auf Grund unserer Untersuchungen, dass diese Mängel zu beheben sind und freuen uns auf den Tag, an dem wir unter optimalen Bedingungen spielen können. Gerade haben wir ein sehr ambitioniertes Wochenende in der vier Jahre alten Philharmonie in Paris bestritten. Diesen Klangzauber und diese Transparenz, die unter diesen fantastischen akustischen Verhältnissen möglich waren, sowie diese bauliche Erlebnisqualität wünsche ich jedem unserer Konzertbesucher auch für die Philharmonie am Gasteig."

Susanne May und Klaus Meisel, Geschäftsführer der Münchner Volkshochschule: "Die MVSH verbindet mit einer Gasteigsanierung den dringenden Bedarf, die Lehr- und Lernbedingungen für die Teilnehmer zu modernisieren sowie bedarfsgerecht zu erweitern, insbesondere die Unterrichtsräume mit Tageslicht auszustatten. Des Weiteren sollte für die Volkshochschule ein angemessenes Veranstaltungsforum realisiert und der Service optimiert werden. Die Volkshochschule rechnet in der wachsenden Stadt mit einersteigenden Nachfrage. Die Grundidee des Gasteig aus den Achtzigerjahren ist weiterhin innovativ: ein Kulturzentrum, das alle Bevölkerungsgruppen anspricht, das Übergänge und Synergien zwischen den unterschiedlichen Einrichtungen fördert und dazu beiträgt, die scheinbare Trennung zwischen sogenannter Hoch- und Soziokultur zu überwinden. Eine solche zukunftsorientierte Gestaltung lässt sich im Rahmen des derzeit bekannten Konzepts der Grundsanierung wohl kaum erreichen."

Arne Ackermann, Direktor der Münchner Stadtbibliothek: "Nach dem heutigen Stand wäre eine Grundsanierung keine zukunftsweisende Entscheidung. Damit wäre eine riesige Chance vertan. Wenn man neue Zentralbibliotheken in aller Welt zum Beispiel nimmt, wäre der Raumbedarf doppelt so groß. Die Stadtbevölkerung wächst rasant. Wir benötigen 30 bis 40 Prozent mehr Publikumsfläche, gerade für den Kinder- und Jugendbereich. Die Umwandlung von Flächen kostet aber nun einmal Geld. Und wenn wir, um attraktiver zu werden, den Eingangsbereich ins Erdgeschoss verlegen, muss man an tragende Decken ran, das ist in einer Grundsanierung nicht möglich. Durch den Gasteig sind seit der Eröffnung 60 Millionen Menschen gelaufen, das ist einmal die alte Bundesrepublik - da kann man doch bei seinen Entscheidungen selbstbewusst auftreten. Ich wünsche mir mehr Mut."

Sophie Becker und Tilmann Broszat, Leiter des "Spielart"-Festivals: "Die Münchner Festivals brauchen einen neuen Gasteig. Nachdem der Carl-Orff-Saal jahrelang mit seiner altbackenen Ästhetik und ungenügenden Publikumssituation bei den internationalen Künstlern und Zuschauern Kopfschütteln hervorgerufen hat, nachdem jahrelang durch eine provisorisch eingebaute Tribüne versucht wurde, das Schlimmste zu korrigieren, verspricht die große Umbaulösung einen Multifunktionsraum, wie ihn gerade internationale Festivals wie "Spielart" und die Münchener Biennale dringend brauchen. Weltweit entwickeln sich im Bereich Theater, Tanz und Performance Formate, die neue Wege zum Zuschauer suchen. Ein Multifunktionsraum, in dem diese und auch zukünftige Entwicklungen der Formate möglich sind, ist für die internationalen Festivals überfällig. Der in die Jahre gekommene Gasteig benötigt darüber hinaus dringend eine weltoffenere und gastfreundlichere Architektur. Nur so kann er als die Münchner Kulturinstitution auch in Zukunft auf Interesse und Zuspruch hoffen."

Bernd Redmann, Präsident der Hochschule für Musik und Theater München: "Die HMTM leidet insgesamt unter einer brüchigen und unzureichenden baulichen Infrastruktur, sowohl an ihrem Hauptstandort in der Arcisstraße als auch am Gasteig, ihrem zweitgrößten Standort. Mit rund 400 Veranstaltungen im Jahr trägt sie zu einem offenen und für ein breites Publikum zugänglichen Kulturprogramm im Gasteig bei. Der Gasteig hat hier enorme Potenziale, die sich nach einer Generalsanierung deutlich entfalten könnten."

Claudia Holmeier, Veranstalterin des Digital/Analog-Festivals: "Man muss doch gar nicht mehr machen aus dem Gasteig, er ist jetzt schon spannend. Als Vertreter der Subkultur sind wir es gewohnt, uns anzupassen. Lichtdurchflutete Wandelhallen wären für unser Pop-Kultur-Festival mit 12 000 Gästen an zwei Tagen tatsächlich gar nicht so gut. Wir lieben den Gasteig gerade wegen seiner dunklen Ecken, diese Nische neben dem Kleinen Konzertsaal etwa ist spannend zu bespielen, da kann man doch kreativ werden. Eine neue Hülle braucht es für uns auch nicht, wir gestalten die Fassade mit Lichtkunst. Also wir kommen mit der Grundsanierung hin, wir wünschen uns nur zeitgemäße Künstlergarderoben."

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Quelle:
SZ vom 02.03.2019 / etho, zir
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