Süddeutsche Zeitung

Ballett:Eine Welt

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Eindrucksvoll zeigt die Heinz-Bosl-Stiftung mit ihren Frühlingsmatineen, dass Tanz Freiheit bedeutet. Höhepunkte sind die Verleihung des Konstanze-Vernon-Preises an die Brasilianerin Rafaelle Queiroz und der Auftritt eines geflohenen Solistenpaares aus Charkiw in der Ukraine.

Von Jutta Czeguhn, München

Alles liegt im Dunkeln, wie so oft in Jiří Kyliáns Tanzstücken. Dann hört man dieses Feuerzeug-Klicken, Kerzen werden zum Brennen gebracht, eine nach der anderen, die Bühne des Nationaltheaters wird zum Kirchenraum. "Obwohl dieses Stück für junge Tänzer kreiert wurde, ist das Thema der Vergänglichkeit und des Ablebens konstant vorhanden", hat der Choreograf aus Prag über "Un ballo" gesagt, das er 1991 für die Nachwuchs-Compagnie des Nederlands Dans Theaters schuf. Mit dieser technisch überaus anspruchsvollen Choreografie, nun getanzt vom Bayerischen Junior Ballett München, begann am Sonntag die Frühlingsmatinee der Heinz-Bosl-Stiftung. Wie immer war es ein energetisches Tanzfest, und doch war da auch große Nachdenklichkeit. Wie soll es auch anders sein in diesen Tagen.

Matteo Carvone und Jasmine Ellis, beide aus der freien Tanzszene, stellen in ihrer Arbeit "You (Among Us)" Fragen nach Hierarchien im Ballett, nach Diversität, was Herkunft und Geschlecht betrifft. Das kann unglaublich komisch, lässig und selbstbewusst sein; wenn sich etwa ein Tütü auf der Bühne verselbständigt, wenn die Mitglieder der multinationalen Compagnie ans Mikro treten und jeweils in ihrer Landessprache grüßen, wenn sie sich gegenseitig mit Trillerpfeifen drillen oder mit Schuhen werfen. Dieses eng mit den Tänzern erarbeitete Stück war sicher das spannendste des Vormittags, an dem auch der Bachelor-Jahrgang der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater München mit einem großen Klassenkonzert begeisterte. Oder Maged Mohamed Aaron Coplands "Appalachian Spring", gespielt vom Attaca-Jugendorchester, neu interpretierte.

Tanz in Perfektion kam von Rafaelle Queiroz. Die junge Brasilianerin, Mitglied am Ballett Zürich, wurde mit dem Konstanze-Vernon-Preis 2022 ausgezeichnet. Zusammen mit Thiago Bordin tanzte sie die "Messa da Requiem" ihres Noch-Compagnie-Chefs Christian Spuck und wurde jedem Wort ihrer Laudatorin, der legendären Ballerina Birgit Keil, gerecht.

Den emotionalen Höhepunkt dieses Tanzmittages aber gab es schon vor der Pause. Irina Khandazevskaya und ihr Mann Anatolii Kkandazevkyi tanzten ein hochelegantes Pas de Deux aus dem zweiten Akt von Tschaikowskys "Schwanensee". Das Solistenpaar des Nationalen Akademischen Opern- und Ballett-Theaters in der ostukrainischen Stadt Charkiw ist vor dem Krieg in seiner Heimat geflohen und kann in der Bosl-Stiftung trainieren. Während man die technische Perfektion und Haltung der beiden auf der Bühne bewundert, treibt es die Gedanken hin zu Artyom Datshin, dem Solotänzer an der Nationaloper in Kiew, der schon im März an seinen Verletzungen nach einem russischen Angriff gestorben war. Und auch zu einem anderen ukrainischen Ballerino, Sergei Polunin , der im Januar 2020 zuletzt in München getanzt hat. Der Mann mit dem Putin-Tattoo auf der Brust und Igor Zelenskys Konterfei auf der Schulter postet seiner Fan-Gemeinde derzeit, als ob nichts wäre, Fotos vom Strand in Dubai.

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