Süddeutsche Zeitung

Radler in München: Pro und Contra:Als gehörte ihnen die Stadt alleine

Lesezeit: 2 min

Radler polarisieren: Während die einen von der günstigen und gesunden Alternative zum Auto schwärmen, sind viele Städter von den Bikern und ihrer zuweilen recht eigenwilligen Interpretation der Verkehrsregeln genervt. Gehört den Radlern tatsächlich die Zukunft?

Christian Mayer und Peter Fahrenholz

Pro: Gleiche Rechte

In vielen Weltmetropolen erlebt man das ungezügelte Wachstum, die mörderische Dynamik vor allem auf den Straßen: Oft geht gar nichts mehr vor lauter Autos, die sich durch dreispurige Stadtautobahnen quälen. München ist in dieser Beziehung um einiges weiter: Hier gilt das Auto längst nicht mehr als Statussymbol - es ist auch nicht mehr das privilegierte Verkehrsmittel, vor allem junge Leute verzichten liebend gerne darauf.

Glücklich ist in dieser Stadt, wer Autofahren gar nicht mehr nötig hat und zum Beispiel mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren kann: Im Vergleich zum Auto und oft auch zum öffentlichen Nahverkehr ist das viel erfreulicher, meist kommt man überraschend schnell und problemlos ans Ziel. Die Stadt wiederum kann sich glücklich schätzen, wenn noch viel mehr Menschen aufs Rad umsteigen und dazu beitragen, den Stress, den Lärm, das Verkehrschaos am Mittleren Ring zu verringern - und den Feinstaub.

Weil das so ist, brauchen Fahrradfahrer die gleichen Rechte wie Autofahrer; sie brauchen bessere, auch besser gepflegte und intelligenter geführte Radwege. Die selbsternannte Radlhauptstadt muss in dieser Hinsicht noch einiges tun. Gelegentlich führt auch kein Weg daran vorbei, den Autofahrern ein Stück Straße und ein paar Parkplätze wegzunehmen.

Radfahrer in dieser Stadt können sich leider nicht überall sicher fühlen: Wer je auf der Chiemgaustraße zwischen Obergiesing und Ramersdorf unterwegs war, kennt die kleinen Fallen, die ärgerlichen Fehlplanungen. Radwege enden im Nirwana, Baustellen versperren den Weg, im Winter schiebt der Räumdienst den Schneematsch auf die Fahrradspur.

Ja, es ist richtig: Manche Allwetter-Biker führen sich inzwischen auf, als gehöre ihnen die Stadt; sie scheren sich wenig um Verkehrsregeln und rote Ampeln. Adrenalingepeitschte Tempo-Deppen - das waren früher die Autofahrer, heute sind es oft die Raser auf zwei Rädern. Trotzdem: Die Zukunft gehört den umweltschonenden Radlern, deshalb verdienen sie auch einen angemessenen Platz in der Stadt. Dazu braucht man übrigens nur eine bessere Infrastruktur, keine neue Werbekampagne.

Allein die Dosis macht das Gift, hat schon Paracelsus gewusst. Für gute Ideen gilt das Gleiche - zu viel davon, und sie schlagen schnell in ihr Gegenteil um. So ist es auch mit Münchens Radfahrern, die - seitdem die Grünen mitregieren - quasi unter Naturschutz sowie der persönlichen Obhut des Grünen-Bürgermeisters Hep Monatzeder stehen.

Keine Frage, es hat nach den Jahrzehnten des Autowahns hier durchaus Nachholbedarf gegeben. Dass überall dort, wo es möglich ist, Radwege gebaut werden, ist richtig. Aber längst ist die Radleuphorie in eine Art Radlhysterie umgeschlagen. München zur Radlhauptstadt machen zu wollen, mag das grüne Lebensgefühl beflügeln, als Verkehrsvision der Zukunft taugt die Idee nicht.

Eine Großstadt wird nie das ultimative Paradies für Radler sein, in dem alle Wege bequem mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können - dazu ist sie, wie der Name schon sagt, einfach zu groß. Eine Großstadt wird immer darauf angewiesen sein, dass neben einem funktionierenden Öffentlichen Nahverkehr auch der Individualverkehr so flüssig wie möglich gehalten wird und genügend Platz sowohl für Radler als auch für Fußgänger bleibt.

Der Radler ist in diesem System keineswegs die benachteiligte Kreatur, zu dem ihn seine glühenden Befürworter gerne verklären. Wer in München unterwegs ist, erlebt seit geraumer Zeit eher das Gegenteil.

Radfahrer, die rücksichtslos auf Gehwege ausweichen, wenn es ihnen auf dem Radweg nicht schnell genug voran geht. Die auf Straßen ungeniert nebeneinander fahren und sich keinen Deut um andere Verkehrsteilnehmer scheren. Die einfach den Arm herausstrecken und ohne sich umzuschauen abbiegen - ganz so, als würde allein das Anzeigen eines Richtungswechsels den übrigen Verkehr zum Stillstand bringen.

Bestärkt vom Zeitgeist, der ihnen wohlgesonnen ist, haben sich viele Radler längst zu Egoisten mit eingebauter Vorfahrt entwickelt. Ein modernes Ärgernis, das sich immer weiter ausbereitet. Zu Lasten aller anderen Verkehrsteilnehmer ständig mehr Platz für die Radler zu schaffen, wird irgendwann zum Kollaps des Gesamtverkehrs in München führen.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2011
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