Süddeutsche Zeitung

Prozess:Wer sich verliebt, wird strafversetzt

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Von Ekkehard Müller-Jentsch

Liebe als Dienstvergehen: Der Bundesnachrichtendienst (BND) hatte 2008 seinen damaligen Chefagenten aus Riga abgezogen, weil dieser sich in eine lettische Frau verliebt hatte. Diese Strafversetzung kann der Mann bis heute nicht verwinden. Er wurde dienstunfähig und klagte gegen Deutschland. In erster Instanz hatte das Landgericht München I die Bundesrepublik verurteilt, dem Ex-Agenten eine Entschädigung zu bezahlen. Um die 300 000 Euro standen zur Debatte. Das Oberlandesgericht München (OLG) hat die Staatskasse am Donnerstag jedoch vor solch einer Zahlung bewahrt: Der 1. Zivilsenat hob das Urteil auf und wies die Klage ab.

Als Berufsoffizier war der Münchner von 2006 an Leiter des BND-Sitzes in Lettlands Hauptstadt Riga. Er wusste genau, dass "grundsätzlich Zurückhaltung beim Eingehen von engen persönlichen Beziehungen zu Angehörigen des Einsatzlandes geboten" sei. Dennoch zog schon ein Jahr später eine Lettin bei ihm ein. Immerhin hatte der Chefagent die Frau zuvor durch seine Kollegen vom lettischen Geheimdienst durchleuchten lassen.

Erst danach meldete er die Liebe seinen Münchner Chefs. Der Geheimdienst beurteilte das nüchtern. Durch die private Beziehung sei das Vertrauen in den Außenstellenleiter erschüttert: Er habe eine nachrichtendienstliche Angriffsfläche geschaffen. Der Mann wurde sofort nach Pullach zurückbeordert und später nach Berlin versetzt. Der Agent wurde bald darauf chronisch krank und mit 50 frühpensioniert.

Zunächst hatte der Ex-Agent vor den Verwaltungsgerichten geklagt. 2011 stellte schließlich das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die Pflichtverletzung des BND-Beamten nur sehr gering gewesen sei. Mit diesem Urteil in der Tasche forderte der Mann vor dem Münchner Landgericht von der Bundesrepublik Deutschland hohen Schadensersatz - zunächst mit Erfolg.

Ganz anders nun das OLG: Nach Ansicht des 1. Senats durfte der BND damals in seine Überlegungen einbeziehen, dass eine heimliche Liebschaft eine "Romeo-Falle" sein könnte und damit ein Sicherheitsrisiko. Der Senat stellt in seiner Urteilsbegründung außerdem fest, dass der BND damals nachvollziehbar berücksichtigt habe, dass die Situation im Baltikum aufgrund der langjährigen Zugehörigkeit der Staaten zu der Sowjetunion nicht vollständig mit der Lage in Ländern langjähriger NATO- und EU-Partnern verglichen werden kann.

Insgesamt kommt das Gericht zu dem Ergebnis, "dass auch unter Anlegung strenger Maßstäbe an die Sorgfaltspflichten" die maßgeblichen Gesichtspunkte "bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt und zutreffend gewichtet worden sind und daher ein Verschuldensvorwurf nicht erhoben werden kann". Das OLG gab der Berufung der Bundesregierung folglich statt, damit bekommt der ehemalige BND-Mitarbeiter nun doch keine Entschädigung. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2016
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