Süddeutsche Zeitung

Prozess:Vater soll Tochter jahrelang missbraucht haben

Lesezeit: 2 min

Von Susi Wimmer

Jule A. kann sich an den Tag im Januar 2016 genau erinnern, den Tag, an dem ihre Familie zerbrach. Sie war hochschwanger mit dem vierten Kind, erzählt die Bürokauffrau mit der blauen Blümchenbluse und der Glasperlen-Halskette, als ihre Tochter ihr eröffnete, dass ihr Vater sie im Kindesalter missbraucht habe, angetatscht, vergewaltigt.

Während sie redet, blickt sie nur geradeaus zu Richterin Sigrun Broßardt. Ihren Ehemann, der keine zwei Meter von ihr entfernt auf der Anklagebank vor dem Landgericht München I sitzt, würdigt sie keines Blickes. Der 48-Jährige sitzt seit fast einem Jahr in Untersuchungshaft, Staatsanwältin Lisa Wild wirft ihm über 50 Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern vor. "Und ich wache jeden Tag auf und denke mir: ,Wo bin ich?'", sagt Jule A.

Der Angeklagte, Daniel A., ist ein Meister des Nichtssagens. Bei gezielten Fragen windet er sich, beginnt mit "das Problem ist" und schwadroniert herum, wie viele Jobs er hatte, um die Familie zu ernähren, wie er alle herumkutschiert und gekocht oder gestaubsaugt habe. Von den Vorwürfen stimme "überhaupt nichts". Bei seiner polizeilichen Vernehmung behauptete er, seine Tochter habe eine Krankheit, weil sie immer mit Jungs kuscheln wolle. Und als sie etwa 16 Jahre alt gewesen sei, so sagt er vor Gericht, sei sie in sein Schlafzimmer gekommen und habe ihn unsittlich berührt.

Sabine Färber-Fröba, Nebenklage-Anwältin der heute 19-jährigen Tochter, schüttelt darüber den Kopf. Ihre Mandantin wird nicht persönlich zum Prozess erscheinen, ihre Aussage wurde in einer Video-Befragung dokumentiert, die vor Gericht abgespielt wird. "Die Aussage ist absolut glaubwürdig", sagt die Anwältin.

Daniel A. soll seine Tochter über das Grundschulalter hinaus beim Duschen eingeseift und begrapscht haben. Es folgten Übergriffe und Vergewaltigungen im Wohnzimmer, Kinderzimmer und im Ehebett, als das Mädchen elf bis 13 Jahre alt war. Immer wenn die Mutter nicht da war. Erst Jahre später vertraute das Mädchen sich einer Freundin an, dann der Mutter. Die warf Daniel A. aus der Wohnung, erstattete aber keine Anzeige.

"Es war ein Schock", sagt die Frau. Die Familie zersplitterte, spaltete sich in zwei Lager. Als Daniel A. wieder aufkreuzte, eskalierte die Situation. Der älteste Sohn griff die Tochter an, die alarmierte die Polizei - und erzählte vom Missbrauch. Ob es einen Grund gebe, dass die Tochter sich rächen wolle, fragt die Richterin Jule A. "Das halte ich nicht für möglich", antwortet die. "Aber ich habe auch einen sexuellen Missbrauch in meiner Familie für unmöglich gehalten."

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Quelle:
SZ vom 17.08.2017
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