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Prozess um dritte Startbahn:Wie es nach dem Urteil weitergeht

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Die Gegner rechnen kaum noch damit, dass das Gericht die dritte Startbahn am Münchner Flughafen kippt. Aber selbst wenn am Mittwoch der Bau erlaubt wird, müssen keine Bagger rollen. Warum das so ist? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Marco Völklein

Mehr als 40 Verhandlungstage, fast elf Monate Streit und Diskussion - an diesem Mittwoch verkündet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) sein Urteil zur umstrittenen dritten Start- und Landebahn. Kaum einer der Startbahn-Gegner rechnet mit einem Sieg; zugleich aber werden auch bei einer Bestätigung der Baugenehmigung durch das Gericht noch lange keine Bagger rollen. "Juristisch sieht es gut für uns aus", sagt einer der Startbahn-Befürworter. "Politisch allerdings überhaupt nicht." Warum das so ist? Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen rund um den Mammutprozess.

Was wurde vor Gericht verhandelt?

Es geht um die Baugenehmigung für das 1,3-Milliarden-Euro-Projekt im Erdinger Moos, den sogenannten Planfeststellungsbeschluss. Den hatte die Regierung von Oberbayern im Sommer 2011 erlassen. Wie gegen jeden Verwaltungsakt konnten auch die Betroffenen gegen den Bescheid Klage einreichen. Das haben 17 Betroffene getan: Anwohner aus umliegenden Gemeinden, etwa dem Freisinger Stadtteil Attaching, einige Kommunen wie beispielsweise der Landkreis Freising sowie der Bund Naturschutz (BN), dem als Umweltverband ganz besondere Klagebefugnisse zustehen.

Wogegen richten sich die Klagen?

Unter anderem führen die Kläger die zu erwartende Lärmbelästigung der Anwohner ins Feld. Die Kommunen befürchten unter anderem, Neubaugebiete nicht mehr so nutzen zu können wie ursprünglich geplant. Zudem erwartet der Bund Naturschutz immense Eingriffe in die Umwelt. Viele geschützte Tiere und Pflanzen hätten in dem Areal nördlich des bestehenden Flughafens Lebensräume erobert. Wenn diese zerstört würden, so die BN-Vertreter, wären diese Arten massiv beeinträchtigt.

Wie haben die Beklagten reagiert?

Die Vertreter der Regierung von Oberbayern wie auch die des Flughafens, die als "Beigeladene" vor Gericht auftraten, erwarten in den kommenden Jahren ein enormes Wachstum des Flugverkehrs. Um das abwickeln zu können und den Münchner Flughafen im Wettbewerb mit anderen, teils sehr aggressiv auftretenden Airports zu stärken, brauche man die dritte Piste, so deren Argumentation. Aktuell ist die Zahl der Starts- und Landungen im Erdinger Moos zwar rückläufig. Zugleich aber stieg die Zahl der Passagiere in den vergangenen Jahren immer weiter an. Bislang konnten die Fluggesellschaften dies dadurch abfangen, dass sie größere Jets einsetzten. "Auf lange Sicht aber", sagt Flughafenchef Michael Kerkloh, werde sich dieser Trend nicht weiter fortsetzen lassen. Spätestens im nächsten Jahrzehnt benötige der Airport die dritte Piste dringend.

Wie werden die Richter entscheiden?

Selbst die größten Optimisten unter den Klägern, rechnen damit, dass das Gericht die Klagen abweisen wird. Der Vorsitzende Richter Erwin Allesch und seine beiden Kollegen haben sich zwar sehr viel Zeit genommen für das Mammutverfahren und auch immer wieder Details intensiv erörtert - als Allesch dann aber kurz vor Weihnachten die 184 Beweisanträge der Kläger abschmetterte, war für fast alle Beteiligten der Weg vorgezeichnet. Als wahrscheinlich gilt daher, dass die Richter die Klagen abweisen - und damit den Startbahn-Gegnern eine herbe Niederlage beifügen.

Sind noch andere Ausgänge möglich?

Denkbar wäre, dass das Gericht den Planfeststellungsbeschluss aufgrund von Rechtsfehlern quasi an die Bezirksregierung zurückgibt - und die Juristen dort diese Fehler zunächst einmal ausbügeln müssen. Das zumindest könnten die Gegner als Teilsieg werten: Denn sie hätten so Zeit gewonnen. Genauso wäre es, wenn das Gericht das Verfahren aussetzen und einige europarechtliche Fragen zur Klärung an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg weiterleiten würde. Einer Sensation käme es gleich, sollte das Gericht den Planfeststellungsbeschluss aufheben. Dann wäre das Projekt wohl endgültig tot.

Dürfte bei einem Sieg des Airports dann die Bahn gebaut werden?

Nein, und zwar aus politischen Gründen. Um die zu verstehen, muss man wissen: Die Flughafen-Betreibergesellschaft gehört zu 51 Prozent dem Freistaat, 26 Prozent hält der Bund, 23 Prozent gehören der Stadt München. Nur wenn alle drei Gesellschafter der dritten Startbahn zustimmen, darf Flughafenchef Kerkloh die Baufirmen beauftragen. Im Sommer 2012 aber votierten die Münchner in einem Bürgerentscheid gegen die dritte Piste. Auch wenn das Votum juristisch nur ein Jahr lang bindend war - die meisten Fraktionen im Stadtrat fühlen sich weiter daran gebunden. Ebenso haben die OB-Kandidaten von SPD, CSU und Grünen zugesagt, sich weiterhin daran zu halten. Josef Schmid (CSU) schränkte ein, dass dies für ihn nur gelte, solange "keine anderen Fakten vorliegen".

Wieso wird dann überhaupt verhandelt?

Flughafenchef Kerkloh will (mit Rückendeckung des Freistaats) erreichen, dass zumindest die Baugenehmigung rechtlich abgesichert in der Schublade liegt. Sollte es den Startbahn-Befürwortern dann in ein paar Jahren irgendwie gelingen, doch noch einen Ausweg aus der politischen Zwickmühle zu finden, könnte er losbauen.

Wie könnte so ein politischer Ausweg konkret aussehen?

Durch seine Einschränkung hat CSU-Kandidat Schmid schon ein mögliches Szenario angedeutet: Sollte der Verkehr in der Luft rund um den Flughafen wieder zunehmen und auch die Passagierzahl weiter wachsen, ließe sich der Bedarf einer dritten Startbahn möglicherweise neu begründen. Allerdings ist es kaum denkbar, dass die Vertreter der Stadt einfach so umschwenken würden; eine neue politische Legitimation müsste also her. Die Stadt könnte daher erneut die Bürger befragen - und die Befürworter müssten im Wahlkampf kurz vor der Abstimmung versuchen, Mehrheiten zu organisieren.

Und was ist mit einem Verkauf der städtischen Anteile am Flughafen?

Auch das wäre theoretisch denkbar. Die FDP streut diese Variante immer mal wieder in die Diskussion ein. Mit einem Verkauf hätte die Stadt kein Vetorecht mehr gegen die Startbahn. SPD, CSU und Grüne lehnen einen Verkauf der Anteile aber ab.

Was will eigentlich der Mehrheitseigner des Flughafens, die Staatsregierung?

Ministerpräsident Horst Seehofer und Finanzminister Markus Söder, der zudem noch Aufsichtsratschef des Airports ist, sind beide für die Startbahn. Seehofer hatte daher schon mal angeregt, eine von ihm angedachte bayernweite "Bürgerbefragung" zur dritten Startbahn durchführen zu lassen. Noch allerdings ist völlig offen, wie eine solche Bürgerbefragung generell ablaufen soll; ein Gesetz hat Seehofer zwar angekündigt, aber noch nicht vorgelegt. Zudem ist unklar, ob die Startbahn landesweit überhaupt eine Mehrheit bekommen würde. Momentan jedenfalls, das zeigen auch die Abstimmungen zu Olympia, könnte die Stimmung eher gegen das Projekt ausfallen, da sind sich Gegner wie Befürworter einig. "Wenn das kommt", unken bereits einige Pro-Startbahn-Strategen, "ist das Projekt endgültig beerdigt."

Und wie geht es juristisch weiter?

Die Startbahn-Gegner haben bereits angekündigt, bei einer Niederlage in die nächste Instanz zu ziehen - vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Zudem tüftelt der Bund Naturschutz parallel dazu an einer Beschwerde bei der EU-Kommission in Brüssel. Kern der Beschwerde: Durch Großprojekte wie die dritte Startbahn, neue Autobahnen oder ähnliches würden Naturschutzvorgaben der EU verletzt. Sieht das die Brüsseler Kommission genauso, könnte sie ein "Vertragsverletzungsverfahren" gegen die Bundesrepublik eröffnen.

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Quelle:
SZ vom 17.02.2014
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