Süddeutsche Zeitung

Prozess:Tödlicher Schubser am Marienplatz: 37-Jährigem droht Gefängnisstrafe

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Von Andreas Salch

"Das wollte ich nicht. Das wollte ich nicht", immer wieder stieß Martin S. aufgelöst und voller Verzweiflung diesen einen Satz hervor. Doch da war es bereits passiert. Am 3. Juni 2016, kurz vor 14 Uhr, im U-Bahngeschoß Marienplatz. Es herrschte dichtes Gedränge auf dem Bahnsteig. Die U 3 war gerade eingefahren, die Türen hatten sich geöffnet. Dabei war es zu einer kurzen Auseinandersetzung zwischen dem 87-jährigen Günther V. und Martin S. gekommen.

"Geh weg du Penner", hatte der 37-jährige Münchner den Senior angeherrscht und soll ihn zur Seite geschubst haben, weil er zuerst in die U-Bahn habe einsteigen wollen. Günther V. fiel zu Boden und schlug mit dem Kopf wuchtig auf den Bodenplatten auf. Es habe "einen dumpfen Knall" gegeben, sagte eine Passantin. Knapp drei Monate später war Günther V. tot. Er hatte bei dem Aufschlag unter anderem ein Schädelhirntrauma erlitten.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hat sich Martin S. der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gemacht. Für die Tat forderte die Vertreterin der Anklage in dem Prozess vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht München I am Montag vier Jahre und vier Monate Haft. Außerdem solle Martin S., der seit vielen Jahren drogenabhängig ist, in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden.

Hat der 37-Jährige - juristisch ausgedrückt - den Tod von Günther V. "billigend in Kauf genommen", als er ihn geschubst haben soll? Es ist die entscheidende Frage, um die sich alles in dem Prozess dreht. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hätte der Angeklagte, obwohl er zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stand, erkennen müssen, dass der Schutzreflex des Rentners altersbedingt eingeschränkt war.

Martin S. entschuldigte sich noch am Bahnsteig bei Günther V. Allerdings hatte er laut Zeugen auch versucht, zu flüchten. Ein Fahrgast konnte ihn davon abhalten. Aus Sicht der Verteidiger, Rechtsanwältin Claudia Enghofer und Michael Pösl, gebe es "gewichtige Indizien" dafür, dass ihr Mandant den Tod von Günther V. nicht "billigend in Kauf genommen" habe. Der Rentner habe auf die Umstehenden viel jünger gewirkt als 87 Jahre. Somit stelle sich die Frage, ob der Angeklagte wirklich habe erkennen müssen, dass der Schutzreflex des Opfers altersbedingt eingeschränkt war.

Rechtsanwältin Enghofer hob bei ihrem Plädoyer hervor, dass Martin S. einem Zeugen zufolge dem Opfer keinen Schubs, sondern lediglich einen "Wischer" versetzt habe. Der Angeklagte habe Günther V. nicht verletzten wollen. Aus diesem Grund forderten die Verteidiger eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren und elf Monaten Haft sowie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Martin S. selbst sagte zum Schluss, der Vorfall belaste ihn sehr und er habe seither schlaflose Nächte.

Das Urteil in dem Prozess werden die Richter der Schwurgerichtskammer am Freitag in einer Woche verkünden.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2017
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