Süddeutsche Zeitung

Prozess:Mordverdacht nach mehr als 30 Jahren

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Von Andreas Salch

Dass er jemals noch wegen "dieser Sache" vor Gericht kommt, damit hat Bozidar S. nicht gerechnet. Mehr als dreißig Jahre ist es her, dass der homosexuelle Rentner Franz Sch. in seiner Wohnung in der Auerfeldstraße in Au-Haidhausen brutal ermordet wurde. In der Nacht des 16. Januar 1986 wurde ihm der Schädel mit einem Porzellan-Aschenbecher und einer Parfumflasche eingeschlagen.

Bozidar S., soll die Tat begangen haben. Am Mittwoch hat der Prozess gegen den inzwischen 56-Jährigen vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht München I begonnen. Der gelernte Buchdrucker soll früher in München als Stricher gearbeitet haben, so die Staatsanwaltschaft. Nachdem Richter Matthias Gröschel Bozidar S. darüber belehrt hat, dass er keine Angaben machen müsse, erwidert der 56-Jährige mit vor der Brust verschränkten Armen: "Ich möchte überhaupt keinen Kommentar abgeben."

Am 13. Oktober vergangenen Jahres war Bozidar S. in Wien festgenommen worden. Die Polizei ermittelte gegen den gebürtigen Serben wegen eines Verstoßes gegen das Ausländerrecht. Routinemäßig wurde auch die DNA mit den gespeicherten DNA-Profilen bei Interpol abgeglichen. Sie passte zu der, die am Tatort in der Auerfeldstraße sichergestellt worden war.

In der Untersuchungshaft hatte Bozidar S. sich von dem psychiatrischen Sachverständigen Cornelis Stadtland noch ausführlich befragen lassen. Dabei hatte er nahezu alles eingeräumt, was ihm auch die Staatsanwaltschaft zur Last legt. Außer den Mord an Franz Sch. Er sei im Januar 1986 nach München gekommen, um einen Verwandten zu besuchen und nicht um sich zu prostituieren, habe ihm der Angeklagte berichtet, so der Forensiker. Bei seinem Großcousin habe der damals 25-Jährige aber nicht schlafen wollen.

Am Nachmittag jenes 16. Januar soll Bozidar S. am Hauptbahnhof den 80 Jahre alten homosexuellen Rentner Franz Sch. kennengelernt haben. Dieser soll ihm angeboten haben, bei ihm zu übernachten. Bozidar S. ging darauf ein und ging mit Franz Sch. in dessen Wohnung. Dort soll der 80-Jährige mit zwei Mitbewohnern sehr viel Alkohol getrunken haben. Die Männer hätten sich unterhalten. Da er damals kaum Deutsch gekonnt habe, habe er auch nicht viel verstanden, so S. zu dem Sachverständigen. Außer einem Wort: Sex. Es soll immer wieder gefallen sein.

Nachdem die Mitbewohner von Franz Sch. die Wohnung verlassen hatten, soll der 80-Jährige den Angeklagten aufgefordert haben, sich auszuziehen. Darüber kam es angeblich zum Streit. Er habe weggehen wollen, so S. Doch die Wohnungstüre von Franz Sch. sei verschlossen gewesen. Der Schlüssel habe nicht gesteckt. "Ich war sehr aufgeregt und aggressiv. Ich habe mich wie ein Tier gefühlt", habe ihm Bozidar S. erzählt, sagte der psychiatrische Sachverständige. Immer wieder habe er den Rentner aufgefordert, ihn gehen zu lassen.

"Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht mitgegangen"

Er habe ihm auf Deutsch gesagt: "Ich hasse Drogenabhängige, Schwule und Terroristen." Als Franz Sch. ihn am Arm gepackt habe, habe er sich losgewunden, einen Aschenbecher genommen und dem 80-Jährigen "mehrfach auf den Kopf geschlagen." Der Rentner habe "Hilfe, Hilfe, Hilfe" gerufen. "Ich war total in Panik", so S. im Gespräch mit dem Psychiater. Schließlich habe er die Wohnungsschlüssel gefunden und sei davongelaufen.

Als S. die Wohnung verließ, soll Franz Sch. noch am Leben gewesen sein. Er habe angeblich auf seinem Bett gesessen und sich "mehrfach an den Kopf gefasst." Auch die Geldbörse des 80-Jährigen habe er nicht mitgenommen, habe der Angeklagte ihm versichert, sagte der Sachverständige. Einer Psychologin, mit der Bozidar S. ebenfalls in der Untersuchungshaft gesprochen hatte, sagte er: "Das Opfer trägt Mitschuld, weil es mich nicht aufgeklärt hat, dass es um Sex geht. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht mitgegangen." Dass er für die Schläge mit dem Aschenbecher bestraft werde, sehe er ein, habe der Buchdrucker ihr gesagt, so die Psychologin.

In Serbien ist Bozidar S. wegen schweren Raubes vorbestraft. Opfer war ein Journalist. Er wurde von den Komplizen des Buchdruckers ermordet. Bozidar S. soll auf den Mann noch mit einem Hammer eingeschlagen haben, als er bereits tot war. Der Prozess dauert an.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2017
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