Süddeutsche Zeitung

Prozess:"Da hilft auch kein Weinen in der Verhandlung"

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Von Susi Wimmer, München

Nach der Verkündung des Strafmaßes stützt Sandra Z. schluchzend ihren Kopf auf die Anklagebank. Gerade hat die 19. Strafkammer ihr Urteil gesprochen: Die 25-Jährige muss für vier Jahre und zehn Monate ins Gefängnis, weil sie Teil einer Enkeltrick-Bande war, die alte Leute um ihr Erspartes gebracht hat, und wohl immer noch bringt. Die Strafe, so sagt der Vorsitzende Richter Markus Koppenleitner, halte er für nicht allzu hoch. Die Frau sei ein wesentliches Rädchen der hochkriminellen Bande, und sie sei einschlägig vorbestraft gewesen. "Da hilft auch kein Weinen in der Verhandlung."

Bei Sandra Z. flossen an den zwei Prozesstagen des Öfteren die Tränen. Ihr Verteidiger David Mühlberger hatte auf die Lebensumstände der Polin verwiesen, die unter anderem mit 16 zum ersten Mal Mutter wurde und von Sozialhilfe lebte. Auf der anderen Seite sah es das Gericht als erwiesen an, dass die Frau zum Begehen von Straftaten nach Deutschland einreiste, sich etwa in Regensburg und Düsseldorf in Hotels einmietete, und mit mehreren Handys unter britischen Telefonnummern agierte.

Auf diesen Handys empfing sie die Anrufe der sogenannten Keiler, die von polnischen Callcentern aus Senioren in Deutschland bedrängten, sich als Angehörige in einer Notlage ausgaben und Geld forderten. Im Mai 2018 holte Sandra Z. bei einer Seniorin in Hilden 12 000 Euro ab. Die 67-Jährige war gerade am Auge operiert worden und entsprechend verunsichert. Im Februar 2019 klingelte sie bei einer 86 Jahre alten Frau, marschierte in ihre Wohnung und packte den ganzen Schmuck und die Goldmünzen ein, die die Senioren zusammengesammelt hatte, in dem Glauben, ihrem Schwiegersohn damit nach einem Unfall zu helfen. Eine dritte Tat blieb im Versuch stecken, Sandra Z. wurde festgenommen.

Der Enkeltrickbetrug, sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding von der Staatsanwaltschaft München I, sei "durch die gute Arbeit eines deutsch-polnischen Joint Investigation Team seit 2015 zahlenmäßig stark zurückgegangen". Dieser Zusammenschluss ermöglichte den Behörden eine direkte Kommunikation ohne Rechtshilfeersuchen und zeitraubenden Papierkram. Allerdings stelle man derzeit fest, "dass die Fallzahlen wieder stark ansteigen".

Wie sehr die Opfer unter dem Betrug leiden, wurde in den aktuellen Fällen besonders deutlich. Eine 86 Jahre alte Münchnerin war so traumatisiert, dass sie sich wochenlang nicht mehr in ihrer Wohnung aufhalten konnte. Später verrammelte sie die Türen, litt unter Schlaflosigkeit und musste sich einer Psychotherapie unterziehen. "Ich habe dieser Frau all meine Sachen gegeben, ich wurde getäuscht, ich war fertig", sagte sie vor Gericht. Sie verlor das Vertrauen in die Menschen und in sich selbst. Dann weinte sie. Eine andere Frau sagte aus, sie lebe seitdem in Angst. Sie verlasse nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr das Haus, zucke zusammen, wenn Fremde sie ansprechen und sitze abends nur bei Kerzenlicht in der Wohnung.

Die Gesamtschadenssumme bei beiden vollendeten Taten lag bei gut 25 000 Euro, "im mittleren Bereich", wie Koppenleitner im Urteil sagt. Staatsanwältin Ines Rampp hatte zuvor eine Haftstrafe von insgesamt fünf Jahren und vier Monaten für Sandra Z. gefordert, die Kammer blieb ein halbes Jahr darunter. "Sie muss es spüren", meinte Koppenleitner, "die Bewährungsstrafe ein Jahr zuvor hat sie nicht abgeschreckt". Verteidiger David Mühlberger erklärt im Anschluss, die Strafe sei unverhältnismäßig hoch ausgefallen, "hier stand das kleinste Rädchen eines Systems vor Gericht". Die aktuell wieder steigenden Zahlen beim Enkeltrick würden belegen, dass "generalpräventive Strafen keine Auswirkungen haben, solange nur 'Läufer' oder'Abholer' betroffen sind". Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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SZ vom 25.02.2020
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