Süddeutsche Zeitung

Prozess am Landgericht:"Ich hatte Angstzustände und fühlte mich verfolgt"

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Von Susi Wimmer, München

Daniel M. ist völlig ruhig, ein Bein hat er entspannt nach vorne gestreckt, von Aufregung keine Spur. Er lauscht aufmerksam den Ausführungen der Richterin und des Staatsanwalts. Und dann redet er. "Krankheitseinsichtig", das ist das Wort, das er häufig gebraucht. Früher, sagt er, sei er das nicht gewesen. Aber jetzt. "Jetzt ist es verankert in meinem Herzen, krankheitseinsichtig." Ob die Einsicht zu spät kommt, das müssen Gutachter und die zehnte große Strafkammer am Landgericht München I entscheiden.

Daniel M., in den Medien als "Scherenmann" bezeichnet, rannte am 19. Mai 2016 mit einer Schere durch die Stadt, bedrohte Passanten, und soll vor dem Arbeitsamt, als er von Polizisten umringt war, auf einen von ihnen losgegangen sein. Sieben Schüsse trafen den psychotisch-schizophrenen Erkrankten aus einer Polizeiwaffe, er überlebte dank einer Notoperation. Nun soll das Gericht entscheiden, ob der 26-Jährige gemeingefährlich ist und in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht werden soll.

Der gebürtige Münchner Daniel M. leidet bereits seit Jahren an Psychosen, er konsumierte Cannabis, "und erstmals war ich 2009 stationär in Behandlung", erzählt er. Er nahm Psychopharmaka ein, "damit bin ich gut durchs Leben gekommen, da bin ich keine Gefahr für die Allgemeinheit", erzählt er. In Absprache mit seinem Arzt wurde die Dosis reduziert und im Januar die Medikation komplett eingestellt. Er sollte sich dann alle zwei Wochen beim Arzt melden. "Das hab ich nicht getan", räumt er ein. Anfangs sei es ihm gut gegangen. "Ich hab Sport gemacht, mich gesund ernährt und mich beim Arbeitsamt für eine Umschulung qualifiziert", sagt Daniel M.

Daraufhin kündigte er seine Arbeit in einem "Klamottenladen". Doch dann holte ihn die Krankheit wieder ein. Es habe mit Schlafstörungen begonnen, "ich habe bei jedem Menschen schwarze Augen gesehen und nachts fühlte ich so eine Art Stromschläge im Bett". Er klebte die Fenster in seiner betreuten Wohngemeinschaft mit Alufolie ab, "keine Ahnung, warum". Er wechselte seine SIM-Karte, fühlte sich verfolgt, "so schlimm wie noch nie in meinem Leben". Und er schnüffelte an Kräutern, die er in der Partnachklamm bei Garmisch gepflückt hatte. Da sei es ihm noch schlechter gegangen, erzählt er vor Gericht.

Was er an jenem 19. Mai mit der Schere wollte, das kann er nicht sagen. "Ich hatte Angstzustände und fühlte mich verfolgt." In der Ruppertstraße soll er sich mit der Schere an einem Autoreifen zu schaffen gemacht haben, so sagte es ein Zeuge. "Ich wollte mich hinter dem Reifen verstecken", sagt Daniel M. Laut Staatsanwaltschaft soll er einen Zeugen bedroht haben und dann davongelaufen sein. In der Herzog-Heinrich-Straße stieß er auf zwei Polizisten, die ihn mehrfach aufforderten, den Gegenstand fallen zu lassen. Die Beamten setzten Pfefferspray ein, "das hab ich nicht gespürt", und als er mit der Schere auf einen Beamten zuging, schoss ihn dieser in den linken Oberarm, "ich bin hingefallen, wusste aber nicht warum, bin aufgestanden und weitergegangen."

Auf einem Video, das auch im Netz kursiert, sieht man, wie Daniel M. auf der Kapuzinerstraße von etlichen Polizisten umringt wird, wie ein Auto versucht, ihn zu stoppen. Er soll mit erhobener Schere auf einen Beamten zugegangen sein, so sagt es die Staatsanwaltschaft. "Ich wollte niemanden angreifen", so sagt er, "ich war damals völlig durch den Wind." Außerdem habe er einen Blackout. Was vor dem Arbeitsamt genau passiert sei, daran könne er sich nicht mehr erinnern. Dass ihn Schüsse getroffen hätten und er zu Boden gesunken sei. Dem 26-Jährigen wurde in den Bauch, ins Bein und in den Arm geschossen. Auf Nachfrage von Richterin Judith Engel erzählt er, dass alles gut verheilt sei, er den Arm schwer beugen könne, "aber ich könnte schon wieder arbeiten".

"Ich will mich und auch andere nicht gefährden", versichert der 26-Jährige noch. Und: "Ich werde die Medikamente lebenslänglich nehmen." Der Prozess wird fortgesetzt.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2017
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