Süddeutsche Zeitung

Prozess:49 Fußballfans verklagen den Staat

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Von Ekkehard Müller-Jentsch

Ein Hochrisiko-Spiel des FC Bayern gegen den 1. FC Nürnberg beschäftigt nach vier Jahren immer noch die Justiz. Die Polizei hatte eine Gruppe von Ultras, die als gewaltbereite Anhänger eingeschätzt wurden, vorsorglich in Gewahrsam genommen. Nun klagen 49 von ihnen auf Schmerzensgeld und Schadenersatz. Der Staat wird wohl zahlen müssen, wie die Amtshaftungskammer am Landgericht München I am Mittwoch deutlich gemacht hat.

Am 29. Oktober 2011, als die Nürnberger noch in der ersten Bundesliga spielten, trafen sich Ultras der "Banda di Amici" aus Franken in München mit befreundeten Ultras der "Cosa Nostra 1860". Sie schweißt der Hass auf die FC-Bayern-Ultras der "Schickeria" zusammen. Die Polizei war schon misstrauisch geworden, weil die beiden Gruppen sich zu dem Bayern-Derby ausgerechnet in unmittelbarer Nähe des Vereinslokals der FCB-Ultras in der Zielstattstraße verabredet hatten. Die Club-Anhänger und Löwen-Fans waren dann aber doch zur Fußball-Arena weitergezogen.

Gegen 14.15 Uhr fiel den Sicherheitskräften diese Gruppe dann dort beim P&R-Parkhaus auf: Schwarz gekleidet, teilweise vermummt, einige hielten Fahnenstangen in den Händen. "Sie marschierten über den Busparkplatz und provozierten Bayernanhänger", sagte die Polizei. "Ihre Gewaltbereitschaft zeigten sie durch Schreien und Arme hochreißen." Die Beamten entschlossen sich, die circa 80 Leute in Gewahrsam zu nehmen: "Die Gruppe wäre im Stadion nicht mehr kontrollierbar gewesen." Erst von 19 Uhr an, als sich die "Schickeria" längst zerstreut hatte, wurden die Club- und Löwen-Fans von der Polizei freigelassen.

Einer von den Nürnberger Ultras, der als Anführer galt, reichte Beschwerde ein und wollte die Rechtswidrigkeit der Gewahrsamnahme festgestellt wissen. Das Amtsgericht München wies das zunächst ab. Das Landgericht München I dagegen hielt die Beschwerde für begründet: Es gebe keine objektivierbaren Anknüpfungspunkte für die Gefährlichkeit der einzelnen Personen - ihre Gefährlichkeit nur mit der Anwesenheit in der vermeintlich gewaltbereiten Gruppe zu begründen, sei ein "unzulässiger Zirkelschluss". Die Polizei müsse zu jeder einzelnen Person erklären, warum man sie für gefährlich halte.

Der Freistaat zahlte dem Nürnberger als Schmerzensgeld für die Haft und seine nutzlos gewordenen Anreisekosten 100 Euro Entschädigung. Daraufhin klagten 49 weitere Ultras, sie verlangen 130 bis 300 Euro Schmerzensgeld, zwischen fünf und 40 Euro für Fahrtkosten und 15 bis 30 Euro für nicht verwendete Stadionkarten.

Der Vorsitzende der 15. Zivilkammer räumte nun ein, dass es für die Polizei schwierig sein dürfte, in solchen Situationen die nun erforderlichen Risikoabschätzungen für jede einzelne Person einer solchen Gruppe zu leisten. Aber angesichts der Rechtslage "werden wir zu einem gewissen Schmerzensgeld kommen". Er schlug vor, die Staatskasse solle 125 Euro pro Person zahlen. Die Anwälte beider Seiten wollen das mit ihren Mandanten besprechen.

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Quelle:
SZ vom 10.12.2015
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