Süddeutsche Zeitung

Probleme bei Kindertagesstätten:Stadt geht gegen Kita-Betrug vor

Lesezeit: 3 min

Von Melanie Staudinger, München

Einfach ungerecht - mehr fällt Peter Müller zur Hortsituation an der Schule seines Sohnes nicht mehr ein. Eigentlich dachte der Vater, es könne ja nicht so schwer sein, dort einen Ganztagsplatz zu bekommen. Schließlich arbeiteten er und seine Frau in Vollzeit. Doch im Schwabinger Hort habe es angeblich nur zwei freie Plätze gegeben, erzählt Müller, und auch bei der Verlosung der Nachrückerplätze sei seine Familie nicht zum Zug gekommen.

Dann aber stellten die Müllers fest, dass der Hort am späteren Nachmittag und freitags fast leer ist. "Da haben Leute einen Platz bekommen, die ihn eigentlich nicht brauchen", sagt der Vater, der in Wirklichkeit anders heißt, aber lieber anonym bleiben möchte. Die einen hätten einen Umzug verschwiegen, um nicht aus dem Sprengel zu fallen, die anderen behauptet, mehr zu arbeiten, als sie es in Wahrheit täten.

Solche Geschichten können fast alle Münchner Eltern erzählen, entweder weil sie sie selbst erlebt oder weil sie sie gehört haben. Familien machen bei der Kita-Anmeldung bewusst falsche Angaben, um schneller an einen Platz zu kommen, so heißt es immer wieder. Denn wer Vollzeit arbeitet, wird vorrangig behandelt. Und das ist wichtig, weil es nicht genügend Plätze für alle gibt. Wer im Hort nicht unterkommt, muss in eine Mittagsbetreuung, die aber nicht so lange auf hat und zudem in den Ferien geschlossen ist.

Im städtischen Bildungsreferat ist dieses Problem bekannt. Es seien bereits Platzzusagen wegen Falschangaben wieder zurückgenommen worden, erklärt eine Sprecherin. Allerdings überprüft die Stadt bisher nur stichprobenartig. Das ändert sich. Ab sofort müssen die Eltern Arbeitszeitnachweise vorlegen, die strenger überprüft werden.

Bei den Einrichtungen der Stadt und den Kitas anderer Träger, die in städtischen Gebäuden untergebracht sind, ist das Verfahren der Platzvergabe in einer Satzung geregelt. Die Chance, einen zu ergattern, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ein besonders wichtiges Kriterium ist neben der Geschwisterkind-Regelung der Bedarf: Wenn zum Beispiel beide Eltern Vollzeit arbeiten, brauchen sie eher einen Ganztagsplatz als die Familien, in denen ein Elternteil ab mittags zu Hause ist. Eltern müssen bei der Anmeldung daher angeben, wie viele Stunden sie an wie vielen Tagen arbeiten. Zudem werden pauschal Weg- und Pausenzeiten berücksichtigt.

"Die Angaben müssen wahrheitsgetreu gemacht werden", sagt eine Sprecherin des Bildungsreferats. Dies müssten die Eltern auch unterschreiben. Bei begründetem Verdacht überprüften die Mitarbeiter des Referats, ob die Angaben der Familien auch stimmen. Können sie keine Nachweise erbringen, erlischt ihre Platzzusage. Das sei auch passiert, erklärt die Sprecherin. Eine pauschale Aussage, wie oft so etwas vorkomme, sei allerdings nicht möglich.

Schon seit Längerem laufen im Bildungsreferat daher Vorbereitungen, eine über die Stichproben hinausgehende Nachweispflicht einzuführen. Diese gilt von sofort an. Eltern müssen eine Bescheinigung ihres Arbeitgebers über die tatsächliche Arbeitszeit vorlegen, Selbständige und Freiberufler eine Selbstauskunft. Die Leitungen der 430 städtischen Kindertagesstätten sind bereits über die Neuregelung informiert worden, die nun auch in München Transparenz schaffen und dem Vorwurf von Mauschelei entgegentreten sollen. Keinesfalls will das Bildungsreferat Eltern unter Pauschalverdacht stellen, wie eine Sprecherin erklärt. Was in München neu ist, kennen Eltern in vielen Umlandgemeinden bereits. Dort sind derartige Nachweise und deren Überprüfung längst üblich.

Für Luftbuchungen kommt am Ende der Steuerzahler auf

Von richtigen Angaben zu Buchungszeiten profitieren aber nicht nur die Familien, die eine ganztägige Betreuung benötigen. Auch der Freistaat ist daran sehr interessiert. Denn das Sozialministerium fördert die Einrichtungen abhängig von der gebuchten Nutzungszeit. Das bedeutet: Eine Einrichtung erhält desto mehr Zuschüsse, je länger ein Kind betreut wird.

Wird ein Platz für Stunden gebucht, in denen er in der Regel gar nicht in Anspruch genommen wird, käme es zu einer sogenannten Überförderung. "Dies gilt es nicht zuletzt im Sinne der Steuerzahler zu vermeiden", sagt ein Ministeriumssprecher. Seit 2013 gebe es daher auf Veranlassung des Obersten Bayerischen Rechnungshofes Prüfquoten, die Luftbuchungen aufdecken sollen.

An der Schwabinger Grundschule von den Müllers ist bisher niemand eingeschritten. Sie haben ihren Sohn nun in einer Mittagsbetreuung angemeldet. Er muss spätestens um 16 Uhr, freitags schon um 14 Uhr geholt werden. Die Eltern bezahlen einen Babysitter, der das übernimmt. Oder sie hören eher auf zu arbeiten und holen die Stunden abends von daheim aus nach. "Wir kriegen das irgendwie auf die Reihe", sagt Müller. Ärgerlich sei es trotzdem. Umso mehr begrüße er, dass das Bildungsreferats jetzt eingehender prüfen wird, ob die Angaben auch stimmen. "Man muss es den Leuten so schwer wie möglich machen", sagt Müller.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3330610
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.01.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.