Süddeutsche Zeitung

Planegg:Einmal Jean-Claude Juncker sein

Lesezeit: 2 min

Das "Planspiel Europa" soll den Landkreisbürgern die Brüsseler Politik näher bringen

Von Mariella Kockler, Planegg

Für den künftigen europäischen Zusammenhalt ist 2019 ein entscheidendes Jahr: Brexit und nationale Abschottungen stellen die EU vor eine Zerreißprobe, gleichzeitig werden bei den Europawahlen im Mai die Weichen für die zukünftige Entwicklung der EU gestellt. Viele Bürger unterschätzen dabei den massiven Einfluss, den die Gesetzgebung der Europäische Union inzwischen auch auf die Lokalpolitik hat: Rund 70 bis 80 Prozent der Entscheidungen, die auf EU-Ebene getroffen werden, wirken sich auf die Kommunen aus - sei es im Bereich der Umwelt-, Sozial- und Verkehrspolitik oder des öffentlichen Auftrags- und Planungswesens. Um die Entscheidungsprozesse hinter diesen Vorgaben sowie deren Auswirkung auf das Leben der Bürger am Ort zu veranschaulichen, hat der Landkreis München das Planspiel "Europa im Rathaus" initiiert. Fünf Kommunen nehmen daran im Zeitraum von März bis Mai teil: Planegg, Unterschleißheim, Kirchheim sowie Grasbrunn in Kooperation mit Haar.

Organisiert und moderiert wird die Simulation von Planspielexperte und Politikwissenschaftler Stefan Rappenglück von der Hochschule München. Den Teilnehmenden bietet sich die Gelegenheit, einmal selbst in die Rolle von Entscheidungsträgern der einzelnen Staaten zu schlüpfen und sich dabei sowohl mit deren politischen Kompetenzen als auch mit realen europäischen Themen auseinander zu setzen. Die Bürger sollen so spielerisch erfahren, wie schwierig es sein kann, sowohl nationale als auch europäische Interessen zu vertreten und einen Konsens zu finden.

Landrat Christoph Göbel (CSU) sieht in dem Planspiel die Chance, Europa vor Ort erlebbar zu machen und die Menschen so dazu zu bewegen, sich aktiv mit der Bedeutung der Europäischen Union auseinander zu setzen, wie er bei der Vorstellung des Projekts am Montag im Landratsamt sagte. Im Spiel fokussieren sich die Gemeinden auf das Thema Klima- und Umweltpolitik, wobei die Teilnehmer in ihren Rollen als Kommissionspräsident, EU-Kommissare oder Außenminister eine Resolution zur Klimapolitik erarbeiten und über die kommunalen Folgen diskutieren sollen.

Grasbrunns Bürgermeister Klaus Korneder (SPD) erhofft sich, mit diesem Thema gerade auch jüngere Generationen für das Planspiel begeistern zu können. Als Austragungsort haben sich Haar und Grasbrunn deshalb auf das Ernst-Mach-Gymnasium geeinigt und auch Planegg kooperiert mit dem Feodor-Lynen-Gymnasium. Gabriele Müller (SPD), Bürgermeisterin von Haar, hebt jedoch hervor, dass explizit auch Erwachsene herzlich eingeladen seien, am Planspiel teilzunehmen. Auch Kirchheims Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU) betont, wie wichtig es sei, dass die Menschen sich intensiver mit Europa auseinandersetzten. Grenzenloses Arbeiten und Reisen sei insbesondere für junge Leute eine Selbstverständlichkeit geworden - umso wichtiger sei es jetzt, darauf hinzuweisen, dass man von der einzelnen Kommune bis hoch nach Brüssel aktiv für den Zusammenhalt kämpfen müsse. Trotzdem wünscht sich Böltl, im Rahmen des Planspiels die Arbeit der Europäischen Union auch kritisch zu beleuchten: "Im Kleinen sind viele Verordnungen oft eher eine Hürde als ein Entscheidungsbeschleuniger", kritisiert der Kirchheimer Rathauschef.

Als Beispiel nennt er die Regelung, dass lokale Bauprojekte europaweit ausgeschrieben werden müssen. Das sei oft umständlich und teuer. Gleichzeitig dürfe man sich die EU von vereinzelten Fehlentwicklungen nicht "madig machen lassen". Oft hätten die Menschen keinen persönlichen Bezug zu Gremien und Politikern - das mindere das Vertrauen in die Institution und mache sie leicht angreifbar. Durch die Teilnahme am Planspiel hofft Böltl, den Bürgern einen besseren Bezug zur Funktionsweise der Europäischen Union zu ermöglichen. Peter Heizer, Zweiter Bürgermeister von Planegg, sieht in dem Projekt außerdem die Chance, dass die Bürger ein Verständnis dafür entwickeln, weshalb Entscheidungen auf EU-Ebene auch mal länger dauern können.

Den Auftakt des Planspiels bildet Unterschleißheim im Bürgerhaus am Freitag, 29. März, Schlusslicht ist Kirchheim Anfang Mai. Teilnehmen können alle Bürger von 15 Jahren an. Nach Beendigung des Projekts tauschen sich alle beteiligten Kommunen in einer letzten Sitzung gemeinsam noch einmal über die behandelten Themen aus.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4372633
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.