Süddeutsche Zeitung

Münchner Philharmoniker auf Tour:Kein "wuu" und ein Wunder

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Auf ihrer Asien-Reise machen die Philharmoniker Halt in Osaka - und spielen ein so großartiges Konzert, dass manche Musikerin fast weint.

Von Egbert Tholl, Osaka

Nominell ist es das gleiche Konzert wie vorgestern, die Münchner Philharmoniker spielen Beethovens fünftes Klavierkonzert und Tschaikowskis sechste Symphonie. Aber das täuscht. Es ist etwas völlig Anderes, es ist ein Erlebnis, es ist großartig. Im Fall von Beethoven liegt das am Pianisten, im Fall der Pathetique am Saal. Den Saal, die Osaka Festival Hall, haben die Philharmoniker übrigens vor zweieinhalb Jahren quasi miteröffnet. Als alter Japan-Hase freute man sich zwar auf den anderen tollen Saal hier, die Symphony Hall, weil der so intim und einfach nur zauberhaft ist. Aber die neue Halle klingt wunderbar klar, transparent, ist ausgestattet mit dem perfekten Nachhall, also keineswegs trocken, und das obwohl sie eigentlich ein Theater ist, in das für diesen Abend perfekt ein Konzertsaal eingepasst wird.

Hinter der Wand ist viel Luft, vielleicht klingt der Raum auch ein bisschen mit. Wie man hier Musik physisch erleben kann, wie man jedes Mikrokörnchen Kolophonium im Streicherklang auf den Saiten zerbersten hört, das entlockt selbst einem Mitglied der Philharmoniker-Administration eine kleine Schelte des Heimatsaals, die man sich sonst immer verbietet: "Wie hier am Ende die Kontrabässe klanglich dastehen, das hörst du in der Philharmonie nicht; da macht's einfach nur wuu."

Aber nur mit "wuu" könnte Gergiev das Ende der Pathetique gar nicht so herrlich aushalten, auskosten, erleben lassen, auch wenn hier zwei Zuhörer sein Vorhaben vereiteln und die Stille mit einem Schrei enthusiasmierter Fast-schon-Selbstentleibung beenden, als ertrügen sie Tschaikowskis Depression nicht mehr. Bereits nach dem dritten Satz klatschten schon einige, das hat man in Japan noch nie erlebt. Grund gab's genug.

Gergievs elastische Tempoauffassungen, seine Lust an dramatischen Generalpausen (sind die Philharmoniker von Thielemann gewöhnt), die kammermusikalische Transparenz im Wechsel mit nie pathetisch werdendem Überschwang, das alles reißt mit. Jetzt kriegt er auch die fette Tuba, die er vorgestern in der Probe anmahnte, die aber der Saal von Seoul unmöglich machte.

In allerbester Laune verlief die Anspielprobe in Osaka. Lorenz Nasturica-Herschkovici, der Konzertmeister, probte schnell noch eine Stelle mit den ersten Geigen, die anderen hörten erst zu, dann spielten sie mit, und Nobuyuki Tsujii dürfte sich ein wenig gewundert haben, was die da proben, denn er saß schon am Klavier, die Streicher indes probten Tschaikowsky, nicht Beethoven. Tsujii ist blind. Wäre er es nicht, er wäre ein prächtiger Pianist, der jede Note denkt und meint, die er spielt - diese Klarheit der Läufe, immer durchzogen von Puls und Akzent, hätte sich mal das koreanische Denkmal vom letzten Konzert anhören sollen, dann wüsste es, wie's geht. Aber Tsujii sieht nichts. Und das macht sein Spiel zu etwas, das man nicht begreifen kann. Er lernt durchs Hören, und spielt es dann nach.

Das klappt in der Probe, das klappt im Konzert, das klappt sogar, wie der Pauker Stefan Gagelmann meint, in der heiklen Stelle gegen Schluss, im Dialog der Pauke mit dem Klavier allein, und zwar besser als bei sehenden Pianisten. Tsujiis Instinkt und sein Hören schaffen eine ganz andere Wahrheit als die interpretierte Objektivität des Notentextes. Und, eh klar, totale Begeisterung, zwei Zugaben, ein Satz aus der "Pathetique" , diesmal der von Beethoven, und eine Chopin-Etüde. Tsujii, ein Ereignis, das jeden Jet-Lag vertreibt und mancher Philharmonikerin die Augen nass werden lässt.

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SZ vom 26.11.2015
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