Süddeutsche Zeitung

Pfandflaschen:Wir werden verdursten!

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Warum Pfandsammler dafür sorgen, dass uns das Bier ausgeht - obwohl sie welches verkaufen.

Kolumne von Michael Bremmer

Es ist eine nette Geste. Vielleicht sogar die Rettung des Abends, auch wenn wir in diesem Moment nicht ahnen können, welche Auswirkungen das Ganze haben wird. Am Ende werden wir vielleicht alle verdursten. An der Isar. Weil die Wirtschaft brummt. Weil es mit der Integration vorangeht. Weil es Pfandflaschen gibt. Aber der Reihe nach.

Alles begann mit Philosophie. Lange Zeit lebte unter der Wittelsbacherbrücke der Obdachlose Bernd, er sammelte Aphorismen wie Pfandflaschen, und manchmal tauschte er auch. Bernd bekam das Pfand, dafür machte er einen Spruch - so einfach ist das Leben in München gewesen.

Im Sommer wohnen viele Menschen unter den Isarbrücken, unter der Reichenbachbrücke etwa Arbeiter aus Bulgarien. Abends haben sie frei, dann bessern sie ihren Verdienst auf, indem sie Bierflaschen einsammeln. Acht Cent bringt jede Flasche, und weil jeden Abend viele Flaschen an der Isar liegen, lohnt sich das.

Die Politik redet derzeit viel über Integration. Die Menschen aus Bulgarien sind hier vorbildlich. Sie haben die Wünsche der Münchner schnell erkannt und gehen offen auf sie zu. Neuerdings ziehen sie mit zwei Tüten die Isar entlang - eine für das Leergut, eine gefüllt mit kaltem Bier. Nur wer seine Pfandflasche hergibt, bekommt Nachschub angeboten. Der Weg zum Kiosk ist lang, die Schlange dort ebenfalls, also her damit.

Und warum werden wir nun verdursten? Am Wochenende liegen an der Reichenbachbrücke Hunderte, ach: Tausende Bierflaschen. Der Flaschenberg ist fast so hoch wie ein kleiner Mann. Acht Cent brächte jede Flasche, aber natürlich ist der Gewinn beim Bierverkauf größer.

Vielleicht kommen die Flaschensammler auch einfach nicht mehr zum Pfandautomaten, die Münchner wollen trinken, das geht vor. Der Sommer ist heiß, das macht durstig. Brauereien klagen, dass ihnen das Leergut ausgeht. Es wird bald kein Bier mehr geben. Wir werden verdursten.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2018
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