Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest-Attentat:Bombenanschlag in 3-D

Lesezeit: 2 min

Ermittler wollen Oktoberfest-Attentat rekonstruieren

Von Annette Ramelsberger

Sie haben sich durch meterweise Aktenregale gewühlt, 26 000 Dokumente durchforstet, 157 000 Seiten Papier gescannt. Sie haben alte Fotos überprüft, nochmals mehr als 100 Zeugen befragt. Sie waren voll bei der Sache, suchten ein ganzes Jahr lang die heiße Spur - und nun haben sie nichts. Allerlei Hinweise zwar, neue Beweismittel, Splitter der Bombe, aber nichts, was sich zu einem Gesamtbild fügt. Das ist das bittere Zwischenergebnis der Sonderkommission (Soko) "26. September", die seit einem Jahr versucht, doch noch die Hintermänner des Oktoberfestattentats vor nun 35 Jahren zu finden.

Keine heiße Spur, doch die Soko gibt nicht auf: Nun soll die Situation am Tatort am Eingang der Theresienwiese in einem 3-D-Modell rekonstruiert werden. Kurz vor Beginn des Oktoberfestes, als die Zelte schon standen und die Situation ähnlich war wie 1980, haben die Polizisten den Bereich rund um den damaligen Tatort mit 3-D-Lasertechnik vermessen. Dazu wurden mehr als 1700 alte Fotos von Rettungsdiensten und Zeitungsfotografen sowie Filmaufnahmen hinzugezogen - um genau erkennen zu können, wie die Situation damals war, als 13 Menschen getötet und über 200 verletzt worden waren.

Man kann den Ermittlern nicht vorwerfen, dass sie nichts getan haben. Sie haben haufenweise Akten digitalisiert und ausgewertet: Papiere von Bundeskanzleramt, BND, Militärischem Abschirmdienst, Verfassungsschutzämtern, Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern, bayerischem Landtag, Staatskanzlei, Innenministerium, der Stasi-Unterlagenbehörde sowie des Bundesarchivs. Dafür hatten sie einen Suchwortkatalog erstellt: 200 Personen wie der Attentäter Gundolf Köhler oder Mitglieder der "Wehrsportgruppe Hoffmann" wie Walter Ulrich Behle sind darunter. Dazu 20 Organisationen vor allem aus dem rechtsradikalen Bereich.

Noch sind die Beamten an der Sichtung der Akten. Und sie haben die Reste des Papierkorbs kriminaltechnisch überprüft, in dem die Bombe des rechtsradikalen Attentäters explodiert war. Die waren nach 35 Jahren aufgetaucht - in Berlin, wo sie ein Opfer aufbewahrt hatte. Mehr als 400 solcher Beweisgegenstände wurden erfasst und teils erneut untersucht. Wie die SZ schon im Sommer berichtete, hat die Soko auch versucht, aus alten Studienunterlagen, auf denen die Fingerabdrücke von Köhler waren, DNA-fähiges Material zu extrahieren. Es gelang ihnen nicht.

Der Verdacht gegen einen Mann, den eine Zeugin als möglichen Hintermann bezeichnete, verdichtete sich nicht. Dieser Hinweis hatte vor einem Jahr zur Wiederaufnahme der Ermittlungen geführt. Die Zeugin hatte angegeben, am Tag nach dem Attentat im Schrank eines Bewohners eines Aussiedlerheims in München Flugblätter gesehen zu haben, die Gundolf Köhler als Attentäter nannten - was damals noch nicht bekannt war.

Auch Angaben einer Krankenschwester aus Hannover brachten keine belastbaren Hinweise auf unbekannte Mittäter Köhlers. Die Zeugin hatte angegeben, im ehemaligen Oststadtkrankenhaus in Hannover kurz nach dem Attentat einen ihr verdächtig erscheinenden Patienten versorgt zu haben, der wegen einer Amputation am Unterarm in Behandlung war. Nach mehreren Zeugenbefragungen und Durchsicht der teilweise noch vorhandenen Unterlagen der Klinik ließ sich das nicht bestätigen. Viele Zeugen berichteten von Männern, die Köhler im Auto begleiteten, von einem Mann, der vom Tatort weglief und vielleicht eine Hand verlor, von der Explosion einer zweiten Bombe - doch nichts ließ sich bisher konkretisieren.

Sie arbeiten nun weiter. Aufgeben gilt nicht. Aber ob sie je etwas finden, ist ungewiss.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2015
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