Süddeutsche Zeitung

Neuhausen:Handyfreie Hüttenstadt

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Die Kinder entscheiden, und nichts läuft ohne sie. Nach diesem pädagogischen Konzept funktioniert der Abenteuerspielplatz an der Hanebergstraße, der vor vierzig Jahren als Provisorium gegründet wurde

Von Carlotta Roch, Neuhausen

Jauchzend sausen die Kinder ihre selbst gebaute Wasserrutsche herunter. Zuvor sind sie richtig ins Schwitzen gekommen, denn wie heißt es so schön: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Den Hügel hinunter war die Erde für die Plane bereits ausgehoben, die Rutsche kam an diesem Spätsommertag schließlich nicht zum ersten Mal zum Einsatz. Doch die blaue Unterlage musste noch ausgebreitet und an den Rändern rechts und links mit Autoreifen fixiert werden. Und natürlich mussten genügend Eimer mit Seifenwasser gefüllt werden, damit es sich auch so richtig schön rutscht. Um alles kümmern sich dort die Kinder selbst, erst dann geht es mit dem Spielen los.

Das ist das pädagogische Konzept des Abenteuerspielplatzes Neuhausen, abgekürzt ASP: Die Kinder entscheiden, und nichts läuft ohne sie. Ursprünglich war der ASP bei seiner Gründung 1979 als Provisorium für fünf bis sieben Jahre gedacht. Doch die 6400 Quadratmeter große grüne Oase hielt zuerst diversen Bränden stand, dann verhinderten Unterstützer 1996 den drohenden Grundstücksverkauf sowie Personalkürzungen, und so blieb der Spielplatz bestehen, wuchs mit den Jahren sogar immer weiter. Am Freitag, 13. September, wird das 40-jährige Bestehen gefeiert.

Der Spaß kommt auf der Wasserrutsche nicht zu kurz. Die Kinder haben die Rutsche selbst aufgebaut und befestigt.

Ein Kinderparadies heute - dabei hat der Abenteuerspielplatz stürmische Zeiten hinter sich; es gab diverse Brände, und auch der Verkauf des 6400 Quadratmeter großen Geländes stand einst im Raum.

Alles, was auf dem Gelände zu finden ist, wurde gemeinsam mit den Kindern gebaut. Fotos: Catherina Hess

Der ASP an der Hanebergstraße 14 ist ein pädagogisch betreuter Aktivspielplatz für Schulkinder bis 13 Jahre und nach den Spielplätzen in Neuperlach und im Hasenbergl der dritte seiner Art in München und der einzige, der ohne festes Gebäude auskommt. Alles, was auf dem Gelände zu finden ist, wurde gemeinsam gebaut. Das Angebot kann sich sehen lassen: Dazu gehören eine selbst konstruierte Hüttenstadt, eine Wasseranlage, eine beeindruckend ausgestattete Werkstatt und eine Holzpferdefamilie. Grundsätzlich läuft hier so ziemlich alles nach den Wünschen der Kinder ab. Vor zwei Jahren zum Beispiel erklärten sie den ASP zum handyfreien Gebiet. Zwei Ausnahmezonen ließen sie aber zu, eine für die Kinder und eine für die Eltern.

Der Spielplatz hat etwa 100 Stammkinder, die regelmäßig vorbeischauen und einen ASP-Ausweis besitzen. An Tagen mit hohem Andrang können sich aber auch mal bis zu 500 Personen auf dem Gelände tummeln. Kinder lernen hier, Verantwortung zu übernehmen und das Kollektiv im Blick zu behalten, wie Susanne Kußmaul formuliert. Seit 1999 ist sie im Team des ASP dabei und seit 2010 offizielle Leiterin. Momentan sind drei Vollzeitstellen besetzt, die sich fünf Mitarbeiter teilen. Hinzu kommen Helfer und Praktikanten.

Die Grundfinanzierung des ASP ist städtisch und wird vom Kreisjugendring (KJR) getragen. Er finanziert unter anderem drei Planstellen und den Bundesfreiwilligendienst. Aber die Kosten für die Instandhaltung trägt der ASP selbst. Pro Jahr fallen etwa 10 000 bis 12 000 Euro für den Unterhalt an, sagt Kußmaul, zum Beispiel für die Instandhaltung der Hüttenstadt.

Aus ökologischer Sicht ist der ASP schon immer sehr fortschrittlich gewesen. Anfang der Neunzigerjahre wurde die Mülltrennung eingeführt, 1992 folgte eine Solardusche. Außerdem hat der ASP einen eigenen Kompost und ein Bienenhotel. Die Erträge der selbstverständlich selbst angepflanzten Obstbäume auf dem Gelände werden zu Marmelade verarbeitet. Beim Einkochen helfen die Kinder genauso wie hinterher beim Aufräumen. Dass alles an seinen Platz zurückgestellt wird, darauf legen sie Wert beim ASP. Wer sich nicht daran hält, steht am nächsten Tag womöglich vor verschlossener Küchentür. "Es gibt hier keine Regeln, die man nicht nachvollziehbar erklären kann. So halten sich die Kinder viel eher daran", sagt Kußmaul. Aber tatsächlich seien sie meistens sogar strenger als die Erwachsenen, wenn es um die Einhaltung der Regeln geht.

Susanne Kußmaul blickt auf 20 spannende und turbulente Jahre voller Highlights und Beinahekatastrophen zurück. Von Stürzen aus der Hüttenstadt bis zum drohenden Verkauf war alles dabei, doch Kußmaul erinnert sich auch an schöne Überraschungen, etwa den ehemaligen Problemfall, der ihr bei einem Besuch erzählte, er habe jetzt die Ausbildung zum Kinderkrankenpfleger abgeschlossen. "Bei uns wird kein Kind fallen gelassen, auch wenn es schwierig ist", betont sie.

Der ASP hat von Februar bis November an den Werktagen geöffnet, weitere Infos unte r www.asp-neuhausen.de sowie unter Telefon 15 53 33.

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Quelle:
SZ vom 11.09.2019
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