Süddeutsche Zeitung

Neue Statistik:Polizei vergrault Einbrecher aus München

Lesezeit: 3 min

Von Martin Bernstein

Ahmed Ergin hat eine neue Türe. 4000 Euro hat sie den 62-jährigen Finanzberater aus dem Lehel gekostet. An einem Sommerabend vor zwei Jahren ist bei Ergin eingebrochen worden. Danach stand für ihn fest: Die Wohnung muss sicherer werden. "So kann man nicht leben", sagt Ergin. Es ist dieser Schock über den Verlust der Sicherheit in den eigenen vier Wänden, der für Einbruchsopfer oft noch schlimmer ist als der materielle Verlust. Der war bei Ergin hoch: 35 000 Euro. Doch nicht etwa Bargeld war weg ("Das könnte man wieder verdienen") - es waren Erbstücke und Geschenke, Erinnerungen an die Großeltern aus Istanbul.

1077 Wohnungseinbrüche verzeichnet das Münchner Polizeipräsidium heuer von Januar bis September. Das klingt nicht nur viel, es ist viel. Und doch fast ein Drittel weniger als im selben Zeitraum des Vorjahres. Die Einbrecher machten dabei Beute im Wert von 3,2 Millionen Euro. Und sie verursachten Sachschäden von weit über 300 000 Euro: aufgehebelte Terrassentüren, eingedrückte Fenster, aufgebrochene Safes . . .

Viel schlimmer als die materiellen Schäden sind für die Betroffenen aber oft die psychischen Folgen. Wie bei der Familie Ergin. Was wäre passiert, fragt sich Ahmed Ergin, wenn er ein bisschen früher heimgekommen wäre und die Einbrecher überrascht hätte? Ahmed Ergins Frau will bis heute nicht allein in der Wohnung bleiben. Allerdings, das wissen die Experten vom Polizeipräsidium: Dass Einbrecher mit Bewohnern in Kontakt kommen, ist äußerst selten.

Die Bürger werden aufmerksamer

Mehrere Faktoren machen den Wohnungseinbrechern zunehmend das Leben schwer: die Aufmerksamkeit der Münchner Bürger, die laut dem Erstem Kriminalhauptkommissar Arno Helfrich, dem Leiter des Kommissariats für Opferschutz und Prävention (Beratung unter 089/2910-3430), immer öfter verdächtige Beobachtungen sofort an die Notrufnummer der Polizei 110 weitermelden.

Das Vorhersagesystem Precobs, das computergestützte Prognosen erstellt, wann und wo in naher Zukunft mit Wohnungseinbrüchen zu rechnen sind. Und die "bewährte Polizeiarbeit", wie es Polizeivizepräsident Werner Feiler bei einer Pressekonferenz zum für Sonntag ausgerufenen bundesweiten "Tag des Einbruchschutzes" nannte. Polizisten zu Pferd und mit Hunden patrouillieren durch Stadtviertel, die von Einbrechern besonders oft heimgesucht werden. Der große Vorteil dieser vierbeinigen Streifen: Auch Brachflächen am Rand der Wohngebiete können so kontrolliert werden.

Der Rückgang der Einbruchzahlen ist nicht auf den Bereich des Polizeipräsidiums München beschränkt. Auch in den Landkreisen der Umgebung, für die das Präsidium in Ingolstadt zuständig ist, haben es Einbrecher zunehmend schwer. Doch auch wenn die Zahl der Wohnungseinbrüche in den ersten drei Quartalen dieses Jahres erstmals deutlich um 13,5 Prozent zurückgegangen und gleichzeitig die Aufklärungsquote um 3,7 Prozent gesteigert worden sei, bleibe die Bekämpfung der Wohnungseinbruchskriminalität ein Schwerpunkt, sagt der Ingolstädter Polizeivizepräsident Günther Gietl. 48,1 Prozent aller begangenen Einbrüche im nördlichen Oberbayern konnten von den Tätern nicht vollendet werden.

Die Zahlen sinken - aber nicht im Landkreis Ebersberg

Nach einer Aufstellung des Polizeipräsidiums Nord ist die Zahl der Einbrüche besonders in den Landkreisen Freising, Fürstenfeldbruck, Starnberg und Dachau zurückgegangen. Dagegen gab es im Landkreis Ebersberg zwischen Januar und September eine Zunahme um fast ein Viertel. Und: "Die Aufklärungsquote ist sehr schlecht", räumt ein Dienststellenleiter unumwunden ein.

In Stadt und Landkreis München lag sie im vergangenen Jahr bei 26,1 Prozent. Vorbeugen ist besonders in dieser Sparte der Kriminalität also besser als hinterher fahnden zu müssen. Und vorbeugen kann auch jeder Einzelne, darauf weist das Landeskriminalamt hin. Einbruchhemmende Fenster und Türen wirken als Barriere, ein Einbrecher bräuchte länger, um in die Wohnung oder das Haus einzudringen. Es können entscheidende Minuten sein, wie Polizeibeamte wissen: Schafft der Einbrecher es nicht, in den ersten drei bis vier Minuten ins Haus zu gelangen, wird ihm die Gefahr, entdeckt zu werden, oftmals zu groß.

Kriminaldirektor Thomas Fichtner, der Leiter vom Kriminalfachdezernat für Einbruchskriminalität in München, weiß, dass die oberen Etagen in Mehrfamilienhäusern besonders gefährdet sind, weil die Einbrecher dort nicht so viel Betrieb im Treppenhaus vermuten. In Einfamilienhäuser wird vor allem eingebrochen, wenn es dämmrig wird. Ahmed Ergins Wohnung ist im ersten Stock. Die Nachbarn hatten die Täter gesehen und sie angesprochen. Die Antwort der Einbrecher: "Wir sind Handwerker."

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SZ vom 24.10.2015
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