Süddeutsche Zeitung

Öffentlicher Nahverkehr:Die S-Bahn bekommt Kuschelecken

Lesezeit: 3 min

Von Andreas Schubert, München

Gut, dass Bayerns Bahnchef Klaus-Dieter Josel nur 1,87 Meter groß ist. So läuft zumindest er nicht Gefahr, sich den Kopf an den neuen Info-Bildschirmen in der S-Bahn anzustoßen. Wer größer als 1,90 Meter ist, sollte dagegen nicht unbedacht durch die neu gestalteten Waggons gehen. Aber gut: Die neuen Bildschirme sollen die S-Bahn-Fahrgäste über Abfahrtszeiten, Störungen oder Umsteigemöglichkeiten auf dem Laufenden halten. Mehr Information gehört zur Qualitätsoffensive der Münchner S-Bahn. Für die gibt sie 500 Millionen Euro aus. Allein der komplette Umbau der Züge, der in zwei Jahren abgeschlossen sein soll, verschlingt dabei 300 Millionen Euro. Dieses Geld kommt vom Freistaat.

Am Montag hat die S-Bahn den ersten modernisierten Zug in Betrieb genommen. Das Innere ist dabei komplett neu gestaltet. Die Einstiegsbereiche in den vorderen und hinteren Teilen der Züge sind großzügiger gestaltet, indem an jeweils einer Seite der Tür zwei Sitze wegfallen, damit die Passagiere schneller ein- und aussteigen können. Abstellflächen für Gepäck sowie Bereiche für Rollstuhlfahrer sind am Boden eigens gekennzeichnet. Die Haltegriffe an den Decken gibt es künftig nicht mehr, dafür neue am Boden befestigte Haltegriffe, wie sie auch in den neuen Münchner U-Bahnen üblich sind. Grund: Auch kleinere Menschen sollen sich so besser festhalten können.

Insgesamt wirken die neuen Züge durch eine hellere Beleuchtung freundlicher; das neue Sitzkonzept - an den Enden sind Eckbänke eingebaut, die als "Kuschelecken" angepriesen wurden - soll mehr Platz bieten. Statt wie bisher 540 Fahrgäste passen künftig mehr als 600 in einen Zugteil. Dass hierfür auch Sitzplätze geopfert wurden, sieht die Bahn nicht als Problem. Denn durch die neuen Abstellflächen für Gepäck werden die Fahrgäste voraussichtlich nicht mehr so viele Sitze mit Taschen und Koffern blockieren. Bayerns Verkehrsministerin Ilse Aigner (CSU) befand die 300 Millionen Euro bei der Präsentation am Montag für "bestens investiert". Johann Niggl, der als Chef der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) schon mal harsche Kritik an der S-Bahn übt, zeigte sich ebenfalls zufrieden mit dem neuen Design: Die Kapazität zu erhöhen, sei der "Dreh- und Angelpunkt".

Nach und nach werden die Züge umgerüstet, ein einzelner Umbau dauert etwa sechs Wochen. Schon diese Woche sollen zwei weitere modernisierte S-Bahnen in Betrieb gehen. Mit neuen respektive neu gestalteten Zügen sei es aber nicht getan, betont Niggl. Es sei auch notwendig, in die bestehende Infrastruktur zu investieren und etwa störungsanfällige Stellwerke zu modernisieren.

Die BEG bestellt im Auftrag des Freistaats die Bahnleistungen. Mit der S-Bahn München gilt bis 2020 ein Übergangsvertrag, dann wird der sogenannte erste S-Bahnvertrag öffentlich ausgeschrieben, der bis zur Eröffnung der zweiten Stammstrecke, also frühestens bis zum Jahr 2026, gelten soll. Ein nächster Schritt ist dann ein zweiter S-Bahn-Vertrag, mit dem die BEG die Verkehrsleistungen erneut für voraussichtlich etwa zwölf Jahre vergeben will. Bei diesem Vertrag strebt die BEG dann eine Aufteilung des Netzes in mehrere Lose an. Das bedeutet, dass das S-Bahn-Netz in verschiedene Teilnetze aufgeteilt werden soll, um deren Betrieb sich unterschiedliche Eisenbahnverkehrsunternehmen bewerben können.

Nun aber steht zunächst die Optimierung des bestehenden Systems an. Hier hat die Bahn bereits eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt und etwa die Stammstrecke eingezäunt, um zu verhindern, dass Menschen auf die Gleise gehen, was immer wieder zu Streckensperrungen und zum zeitweiligen Kollaps des Systems führt. Ebenso setzt die Bahn auf Personal, derzeit am Hauptbahnhof, das Passagierströme lenken und so beschleunigen soll, sowie auf selbst öffnende Türen auf der Stammstrecke. Auch die großzügiger gestalteten Einstiegsbereiche sollen wertvolle Sekunden bei der Abfertigung bringen, die sich im Laufe eines Tages auf eine Viertelstunde oder mehr summieren können.

S-Bahn-Geschäftsführer Heiko Büttner sagte am Montag, der Umbau aller 238 bestehenden Züge bis zum Jahr 2020 sei die größte Modernisierung, die die Deutsche Bahn jemals bewerkstelligte. Sie sei deshalb notwendig, "weil wir nicht mehr warten können, bis die zweite Stammstrecke mehr Kapazitäten bringt". Inzwischen werde das einst für täglich 250 000 Fahrgäste ausgelegte System von etwa 840 000 Menschen genutzt und sei längst an seinen Kapazitätsgrenzen gelangt.

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Quelle:
SZ vom 10.07.2018
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