Süddeutsche Zeitung

Neue Initiative "Kompass":Die Paten

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Eine Unternehmensberatung sowie eine Stiftung unterstützen jugendliche Flüchtlinge und vermitteln ihnen Praktika.

Von Pia Ratzesberger

Sie stehen am Bühnenrand, sie starren nach vorne. Niemand lacht mehr, niemand klatscht mehr, die Stille drückt. Der erste der sechs Jungen beginnt zu sprechen. Langsam. Laut. Er komme aus dem Iran, er sei 40 Tage gelaufen. Türkei, Griechenland, Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich. Und dann Deutschland. Und dann München. Der nächste erhebt die Stimme, er erzählt von einem Boot, neun Meter lang, 60 Menschen darin, von Nächten im Wald. Und dann Deutschland. Und dann München. Wie absurd muss es für diese sechs jungen Männer sein, nun hier in der BMW-Welt im Norden der Stadt zu stehen und all den Unternehmern und Beratern ihre Geschichte zu erzählen.

Diese sechs jungen Männer sind eingeladen, weil all die Unternehmer und Berater vor ihnen Hoffnung in sie setzen. Saman M., Bahram M., Behnam B., Ahmed O., Omer S. und Daniel T. gehören zu den ersten Teilnehmern des Flüchtlingsprogrammes "Kompass" der Initiative Joblinge. Diese Initiative der Unternehmensberatung Boston Consulting und der Eberhard von Kuenheim Stiftung der BMW AG unterstützt seit acht Jahren Jugendliche, die nur schwer einen Job finden, vermittelt ihnen Praktika und Mentoren. In München gibt es zwei Büros auf der Praterinsel und in der Ridlerstraße. "Kompass" soll nun genau das Gleiche wie Joblinge leisten, nur eben allein für junge Geflohene. Die Kriterien: keine Analphabeten, keine Hochqualifizierten. In den Unterkünften habe man für das Programm geworben, Leute angesprochen, sagt Anja Reinhard vom Münchner Joblinge-Team. In der Karlstraße etwa und in der Tübinger Straße, auch in der Bayernkaserne. Partnerunternehmen sind zum Beispiel Loden-Frey und Schenker.

München ist eine der wenigen Städte, in denen das Programm schon im April diesen Jahres mit einer Gruppe von 20 Leuten begann, also vor dem offiziellen Start am vergangenen Freitagabend. Bisher haben die Flüchtlinge in einem Kurs vor allem Deutsch gelernt, ab kommender Woche beginnen nun die Ersten ihre Praktika, unterstützt von freiwilligen Mentoren.

Es bringe ja keinem was, wenn alle immer nur Nachrichten schauten und schimpften, sagt Franz Wagner, er leitet bei der Versicherungskammer Bayern die Konzernausbildung und ist für Joblinge nun Mentor. Viel besser als nur zu granteln sei es doch selbst etwas zu tun. "Das bereichert ja auch das eigene Leben, ganz egoistisch." Aus der anonymen Masse der Flüchtlinge, von der man jeden Tag liest, tritt dann zum Beispiel Mahray E. hervor. Der Schützling von Wagner, der ihm bei jedem Treffen so viel und so schnell erzählt, dass Wagner kaum hinterher kommt. Er sage dann immer " langsam, langsam", noch verstehe er ja leider einen Großteil nicht, die Sprache sei noch zu gebrochen. Doch immer wieder denkt Wagner nach solchen Treffen auch: "Das waren jetzt eineinhalb Stunden und ich habe es kaum ausgehalten, dass man sich nicht komplett verständigen kann." Mahray aber habe dieses Problem jeden Tag. Jede Stunde.

Der Deutschlandchef von Boston Consulting, Carsten Kratz, betonte in der BMW-Welt, wie sehr eine Gesellschaft doch von Migration profitiere. Steve Jobs etwa, der Gründer von Apple, war der Sohn eines syrischen Einwanderers, ohne Migration gebe es also kein iPhone. Einwanderung wäre lange Zeit nicht negativ besetzt gewesen, die Menschen hätten voneinander gelernt - so solle es auch heute sein. Bis zum Ende dieses Jahres werden in München 80 Flüchtlinge am "Kompass"-Programm teilgenommen haben. Im kommenden Jahr soll es dann deutlich mehr Plätze geben.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2016
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