Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Süßer die Messer nie klingen

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Das Festessen gehört in Lagos wie München zu Weihnachten. Doch unser Kolumnist aus Nigeria findet es befremdlich, dass die Bayern das Tier für das Mahl gerupft und zerkleinert im Supermarkt kaufen.

Kolumne von Olaleye Akintola

Rehrücken mit Rotweinsoße? Oder lieber Rindsrouladen mit Rotkohl und Klößen? Wobei, man muss Knödel sagen, sonst handelt man sich diesen Blick ein, den der Bayer sonst nur für Preußen reserviert hat. Wie man das Essen bezeichnet, ist wichtig. Wo es herkommt, und wie es herkommt, das spielt beim Weihnachtsessen hingegen eine eher untergeordnete Rolle.

Eines haben die Menschen in München und Lagos gemeinsam: Ihr Weihnachtsfest ist nur dann vollständig, wenn mindestens eine Mahlzeit besonders zelebriert wird. Das Abendessen ist ein entscheidender Faktor für das Gelingen von Heiligabend. Vielleicht wäre Schmausereinachten gar der präzisere Begriff für den Abend des 24. Dezember.

Wo ich herkomme, gibt es einen nicht unwesentlichen Teil, der Weihnachten gar nicht erst feiert. Was allein schon daran liegt, dass in Nigeria deutlich mehr Muslime leben als in Deutschland. Wenn es aber gefeiert wird, ist es Brauch, dass Tiere dafür ihren Kopf hinhalten müssen. Im Prinzip also so wie hier in Bayern.

Enten, Kühe, Rehe, Truthähne und Hühner sind die beliebtesten Opfer dieser Tage. In München beginnen wieder die Festivals der Fleischfresser. Die Familien werden zusammengetrommelt. Die Buffets werden eröffnet. Auf den Tischen liegen sie da, ganz unschuldig, in Bratensoße: die Gänse, Hasen, Truthähne und Hirsche. Die Menschen freuen sich am Geschmack und loben einander für die köstliche Zubereitung. Wie das Tier auf den Buffettisch geraten ist, darüber wird hingegen seltener gesprochen. Dabei wäre doch genau dies das interessanteste Ritual.

Die Bayern haben ein ganz besonders großes Faible für das Fleischessen. Das sieht man an ihren Würsten, die sie aus allen möglichen Tierarten zusammenwurschteln. Beim Weihnachtsessen hingegen lassen die dampfenden Speisen ziemlich genaue Rückschlüsse zu, um welches Tier es sich einmal gehandelt haben muss. Insofern erinnert es an das Weihnachtsessen, wie ich es aus Nigeria kenne.

Mit dem großen Unterschied, dass die Tiere dort lebendig ins Haus gebracht werden. In Nigeria war es normal, dass man das Weihnachtshuhn beim Bauern abholte. Daheim wurde dem Tier dann mit einem Messer der Hals durchschnitten, dann ließ man es ausbluten lassen und rupft es. Anschließend wird das Huhn eigenhändig - im Ganzen - zubereitet. In Münchens Haushalten wäre das sicher weniger erwünscht. Man stelle sich vor, auf den Perserteppich würde nur ein Tropfen Gänseblut fallen. Die weihnachtliche Stimmung wäre nachhaltig ruiniert.

Dabei, so zumindest die Idee, ist Weihnachten doch ein spirituelles Fest. Mir persönlich fehlt dieser Spirit, wenn ich nicht höchst persönlich mit ansehen kann, wie bei einem Tier vor dem Verzehr das Blut in die Erde rinnt. Dieses Konzept ist keine Brutalität, sondern ein Ritual, das im Christentum einst eine große Rolle spielte. In Nigeria käme es an Weihnachten einer Gotteslästerung gleich, würde man sein Huhn nicht eigenhändig schlachten. Deswegen muss die Frage erlaubt sein, warum die Menschen im weitgehend christlichen Bayern ihr Hendl beim Metzger oder gar im Supermarkt kaufen - fertig gerupft, oft zerkleinert und frei von allem Zubehör. Wo es doch nichts Besseres gibt, als am Ende des Weihnachtsessens die Knochen zu zerknacken und einen nach dem anderen auszuzuzeln.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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SZ vom 21.12.2018
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