Neonazi-Mordserie:Nichts als Hass
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Mit mehreren Schüssen wird in Nürnberg-Langwasser im Jahr 2000 ein türkischer Blumenhändler auf offener Straße niedergestreckt. Es ist der Anfang einer Serie, der neun Migranten und eine Polizistin zum Opfer fallen. Auch in München gehen zwei Morde auf das Konto der Neonazis. Bekannte der Opfer können nicht fassen, dass die Taten einen rechtsextremen Hintergrund haben. Eine Spurensuche.
Eigentlich interessieren sie sich im Sportcafé Dikefali an der Bergmannstraße nur für die beiden großen Flachbildschirme, die gleich rechts neben dem Eingang von der Decke hängen. Sechs Männer sitzen an dunklen Holztischen, auf dem linken Monitor läuft Tennis, rechts ein Fußballspiel. Georg Giltidis aber kann sich nicht auf den Sport konzentrieren, ausgerechnet der Wirt des Dikefali hat heute keinen Blick für die Fernseher.
Giltidis lehnt an seinem Tresen und starrt auf einen Barhocker, weil er es immer noch nicht fassen kann, dass der Mord an seinem einstigen Freund und Stammgast Theodorous Boulgarides auf einmal geklärt sein soll. "Rechtsradikale", murmelt er. "All die Jahre keine Spur bei diesen Taten, und jetzt erzählen sie uns, dass es Rechtsradikale waren."
Drogen, Erpressung, Racheakte für irgendwelche kriminellen Geschäfte, das war lange die Richtung, in welche die Polizei ermittelt hat bei den sogenannten Dönermorden, auch bei den beiden Fällen in München und bei den drei Opfern in Nürnberg. Und das war es deshalb auch, was Wirt Giltidis immer geglaubt hat, auch wenn er sich die Sache mit den Drogen bei seinem Freund eigentlich gar nicht hatte vorstellen können.
Am 29. August 2001 geschieht der erste Mord in München, der türkische Obsthändler Habil Kilic wird in seinem Laden in Ramersdorf mit einem Kopfschuss hingerichtet. Am 16. Mai 2005 stirbt der Grieche Boulgarides, auch er durch einen Kopfschuss, auch er in seinem eigenen Geschäft, einem Schlüsseldienst im Westend.
Dass die Männer einfach erschossen wurden, weil sie Ausländer waren, hätten Nachbarn und Bekannte der Opfer nie für möglich gehalten. Auch im Griechischen Haus, ein paar Blocks entfernt vom Sportcafé Dikefali, sind die Männer am Wochenende geschockt. Viele in dem Stadtteiltreff, der in München Anlaufpunkt für griechische Einwanderer ist, erinnern sich noch an diesen Mittwochabend im Juni 2005, an dem Boulgarides ermordet wurde. "Wir waren gerade im Hinterhof des Gebäudes, als auf einmal ein Polizeihubschrauber über dem Viertel kreiste und wir Sirenen hörten", erzählt Nikos Palagas. Kurz zuvor hatte ein Mörder seinen Bekannten Boulgarides regelrecht hingerichtet.
"Wir konnten nicht fassen, dass so etwas am hellichten Tag geschieht"
Die Ermittler fanden damals in dem kleinen Laden in der Trappentreustraße 4 keinen Hinweis auf einen Kampf. Der Täter muss um kurz nach sechs in den Laden gekommen sein, seine Waffe gezogen und dem Familienvater direkt eine Kugel in den Kopf gejagt haben. "Es war noch hell draußen", sagt Palagas, "wir konnten nicht fassen, dass so etwas am hellichten Tag geschieht."
Was er jetzt auch kaum glauben kann: Dass der griechische Einwanderer offenbar Opfer einer Verwechslung wurde. Nach Stand der Ermittlungen handelten die Täter aus Hass auf Türken. "Die haben anscheinend einfach nicht gewusst, dass Boulgarides Grieche ist", sagt sein Bekannter Palagas. Bei der Polizei richteten sie eine 20-köpfige "Arbeitsgruppe Theo" ein, die Fäden liefen beim Bundeskriminalamt zusammen.
Ermittler in ganz Deutschland gaben ihre Ergebnisse in ein EDV-System ein. Alle Daten, alle relevanten Personen, alle Autokennzeichen, jede noch so winzige Spur wurde registriert, um nach einer Gemeinsamkeit für die zu diesem Zeitpunkt insgesamt sieben Morde zu suchen. Aber wie schon bei den Ermittlungen über die erste Tat in München vier Jahre zuvor fand die Polizei weder eine nützliche Spur, noch einen Zusammenhang zwischen den Taten, der auf ein Motiv hingedeutet hätte.
Tatsächlich wiesen einige der Opfer Verbindungen in die Rauschgiftszene auf - aber eben nicht alle. Die einzige offensichtliche Gemeinsamkeit: die Tatwaffe, eine Ceska vom Typ 83, Kaliber 7,65. Mit dieser Waffe begann die Serie am 9. November 2000 im Nürnberger Stadtteil Langwasser, als ein türkischer Blumenhändler auf offener Straße mit mehreren Schüssen niedergestreckt wurde.
Und aus dieser Waffe stammten auch die Schüsse, die in Nürnberg im Juni 2001 einen türkischen Mitarbeiter einer Änderungsschneiderei und im Juni 2005 einen Döner-Verkäufer töteten. Die Täter wurden immer dreister. Nur ein paar Tage nach dem letzten Mord in Nürnberg fuhr in der Bad Schachener Straße in Ramersdorf ein Wagen vor - direkt neben einer Polizeiinspektion. Es war elf Uhr vormittags, der Mörder stieg aus, betrat den Obstladen und jagte Habil Kilic eine Kugel in den Kopf. Dann verschwand er spurlos.
Das Obstgeschäft gibt es immer noch, es hat jetzt einen anderen Inhaber, der nichts von dem Mord weiß. Aber auch hier im Viertel können sich noch viele an die Tat erinnern. Hausmeisterin Marion Daser zum Beispiel ist seit knapp 20 Jahren für den Block zuständig. "Immer freundlich, immer hilfsbereit war der Mann", sagt sie über das Opfer.
Die Hausmeisterin ist damals gerade in dem Moment vom Einkaufen zurückgekommen, als zwei Helfer die Leiche auf einer Bahre weggetragen haben. "So etwas vergisst man nicht", sagt Daser. In der Nachbarschaft habe damals große Sorge geherrscht, dass Habil Kilic in einen Bandenkrieg verwickelt gewesen sei. Dass es zu weiteren Schießereien kommen könnte. "Uns allen hier war einige Zeit mulmig damals", sagt Daser. Frau und Tochter des Opfers sind nur kurze Zeit nach der Tat in eine andere Gegend gezogen.
Daser musste trotzdem immer wieder nachdenken über den Fall, wenn sie am Obstgeschäft vorbeigegangen ist. Auf die Idee, dass Neonazis die Täter waren, ist aber auch sie nicht gekommen. "Eigentlich dachte ich, der Fall wird nie mehr geklärt", sagt sie.