Süddeutsche Zeitung

Ermittlungen zu David S.:Amokfantasien reichen nicht für einen Haftbefehl

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Zwei Jugendliche hatten Kontakt mit dem Amokläufer von München und ähnliche Gewaltfantasien. Trotzdem kommen sie nicht in Haft. Aus gutem Grund.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Zu den Rätseln nach dem Amoklauf von München gehört eines, das die Menschen in diesen Tagen der Verunsicherung besonders umtreibt: Warum ist der 16-jährige Freund von David S., der mit ihm noch kurz vor dem Verbrechen in Kontakt war, nicht in Untersuchungshaft? Und warum ist der 15-jährige Junge aus dem Raum Ludwigsburg auf freiem Fuß, ebenfalls ein Chatfreund des Amoktäters? Bei ihm wurden Munition und Messer gefunden - und Hinweise auf Amokfantasien.

Noch ist die Frage nicht drängend, weil beide in der Psychiatrie sind. Aber die Staatsanwaltschaft hat gegen den 16-Jährigen einen Haftbefehl beantragt; nach allem, was man weiß, gäbe es gute Gründe, ihn zu erlassen. Seine Voraussetzungen lauten: dringender Tatverdacht, Haftgrund, Verhältnismäßigkeit. Für den Verdacht, er könnte von den Mordplänen gewusst haben, gibt es offenbar handfeste Anhaltspunkte.

Das wäre eine Nichtanzeige von Straftaten, darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft. Gleiches gilt für den Haftgrund der Verdunklungsgefahr: Der Junge soll verdächtige Chats mit David S. gelöscht haben. Das klingt nach verwischten Spuren. Und dass es völlig überzogen wäre, einen Jugendlichen eine gewisse Zeit in Haft zu nehmen, lässt sich nicht erkennen.

Andererseits muss man einräumen: Es ist eine schwierige Prüfung, die ein Richter hier vorzunehmen hat. Und er kann Menschen nicht deshalb einsperren, weil sie zum irgendwie verdächtigen Umfeld des Amoktäters gehört haben. Das lässt sich am Beispiel des 15-jährigen Jungen aus Ludwigsburg illustrieren. Bisher geht es bei ihm um mögliche Verstöße gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz; hohe Strafen sind nicht zu erwarten.

Zudem ist die Schwelle für die Verhängung von Untersuchungshaft bei Jugendlichen unter 16 Jahren deutlich höher. Unterbringung in der Psychiatrie? Das würde eine erhebliche psychische Störung voraussetzen. Polizeigewahrsam? Greift nur bei "unmittelbar" bevorstehenden Schädigung. Amokfantasien, von denen sich der Junge inzwischen wieder gelöst haben soll, werden dafür nicht reichen.

Freiheit ist ein überragendes Rechtsgut, deshalb gelten für die Inhaftierung von Menschen strenge Regeln. Das ist richtig so. Auch in diesen Tagen der Verunsicherung.

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Quelle:
SZ vom 29.07.2016
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