Süddeutsche Zeitung

Musik:Wunderbare Welt der Technik

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Als Martha Bahr ihre Ausbildung zur Tontechnikerin machte, war das noch ein klassischer Männerberuf. Jetzt macht sie unter dem Namen "Panic Girl" elektronische Musik und gründete eine Plattenfirma, mit der sie die Frauen ihrer Branche unterstützen will

Von Rita Argauer

Ihre Haare leuchten blau. Und wegen dieser Farbe muss Martha Bahr gegen Ende des Gesprächs lachen. Sie hatte gerade ausführlich davon erzählte, dass sie ihr aktuelles Album, dass sie als Musikerin gerade unter dem Namen Panic Girl veröffentlicht hatte, "Blue" genannt hat. Und dass sie es schon mag, thematisch zu arbeiten. Deshalb sei die Vinyl-Platte, auf der das Album erschienen ist, eben auch blau. Und ja, die Haare. Eine Künstlerin mit Haut und Haaren also.

Doch halt. In dieser Absolutheit funktioniert das bei Martha Bahr eben gerade nicht. Sie denkt breiter. Sie denkt nicht nur an sich, nicht nur an ihre eigene Kunst. Sie hat jetzt, mit Mitte 30, eine Plattenfirma gegründet. Sie möchte damit Frauen in ihrer Szene fördern. Die gibt es dort. Und die machen tolle Musik. Aber sie alle sind nicht so sichtbar wie die Männer.

Ein altes Problem. In der Szene, in der Bahr als Panic Girl Musik macht, überrascht das nicht. Denn es ist eine sehr technische Szene. Und hier greifen alte Klischees noch stärker als anderswo. Denn Technik ist weiterhin mehr Männersache. Als könnten Frauen nicht kapieren, wie man Kabel steckt.

Klar, um Modular-Synthesizer zu spielen, braucht man eine gewisse Lust, sich mit Technik und deren logischer Funktionsweise auseinander zu setzen.

Modular-Synthesizer sind seltsame Instrumente. Während ein Klavier oder eine Gitarre - technisch gesehen - doch recht einfach funktioniert und man als Musiker dann recht schnell sinnlich nach Klang sucht, ist das beim Modular-Synthesizer anders. Da muss man erst einmal die Funktionsweise verstehen, damit man darauf spielen kann. Verstehen, wie man welche Kabel stecken muss.

"Das sieht erst einmal wie ein Teil aus einem Science-Fiction-Film aus", sagt auch Martha Bahr. Buchsen, Schaltkreise, Platinen, eine kleine Klaviatur, der man aber erst die richtigen Töne entlocken kann, wenn man die richtigen Kabel in die richtigen Buchsen gesteckt, die Regler richtig eingestellt hat, der Maschine gesagt hat, was sie tun soll. "Am Anfang ist es kompliziert", sagt Bahr.

Doch sie hat das schnell gelernt. Sie macht, seit sie 20 Jahre alt ist, jeden Tag mindestens eine Stunde lang Musik. "Das ist wie Sport", sagt sie. Das habe sie sich auferlegt, als sie begann, in Bands zu spielen. "Wenn ich mich jedes Mal fragen würde, ob ich Lust dazu habe, ob mir gerade etwas einfällt, dann würde ich nicht weiter kommen."

Sie hinterfragt das nicht, sie macht. Wenn ihr mal keine neue Melodie einfällt, dann mischt sie eben etwas, was sie schon aufgenommen hat. Oder setzt sich mit der Funktionsweise ihrer Instrumente auseinander. Vor der Technik hatte Bahr keinen unnötigen Respekt. Warum auch? Sie ist Tontechnikerin. Hat eine Ausbildung an der SAE absolviert, der School of Audio Engineering, einer alten privaten Schule für Sounddesign und Tontechnik im Pop-Bereich. Hat danach dort als Dozentin gearbeitet. Sie kann Fragen beantworten, sie kann Antworten suchen, wie man was aufnimmt, wie man Audiospuren mischt. Wie man am Computer und am Mischpult Musik erzeugt. Da ist sie selbstbewusst. Das macht sie auch professionell.

Drei Tage die Woche arbeitet sie als Audio-Designerin beim Bayerischen Rundfunk. "Der BR ist fantastisch", sagt sie. Martha Bahr schreibt Musik für Beiträge. Erzeugt die Stimmung, die subtil unter den Nachrichten liegt. "Mein erstes Thema war eine Kindersendung, die sich mit dem Tod beschäftigte", sagt sie. "Das war nicht leicht." Solche Musik darf die Emotionen des Beitrags nicht zu sehr illustrieren, sonst wird es zu dick. "Man muss die eigenen Empfindungen zurückstellen", sagt Bahr.

Anders als in ihrer eigenen Musik. Da geht es um ihre Empfindungen. Und das war der Punkt, warum sie überhaupt eine berufliche Laufbahn im Bereich Musik eingeschlagen hat. Als Kind hatte sie Klavierunterricht. "Musik hat mich schon immer am meisten berührt", sagt sie. Diese seltsame Kunst, die ohne Bilder, ohne Schrift und oft ohne Worte so große Erfahrungen im Kopf und im Herzen erzeugt. Die absolute, abstrakte Kunst, die gleichzeitig so nahbar und berührend ist. "Magie, Zauberei, es packt einen, obwohl man es nicht anfassen kann", sagt Bahr.

Trotzdem hat sie nach dem Abitur zunächst ein geisteswissenschaftliches Studium begonnen, Geschichte und Germanistik. Parallel hat sie in Bands Gitarre gespielt und gesungen. Technik war da aber noch Männer-Sache - ihre Bandkollegen haben sich um die Verkabelung der Mikrofone und das Einstellen am Mischpult gekümmert. Das hat Bahr nicht davon abgehalten, sich genau dafür zu interessieren. Sie brach das Studium ab, um in den frühen Nullerjahren eine Tontechnik-Ausbildung zu beginnen.

"Das war schon ein Männerberuf", sagt sie. An der Schule gab es nur wenige Studentinnen. Dass sie sich da behaupten musste und ihren Platz an riesigen alten Mischpulten und im Studio finden konnte, hat bei Bahr aber mehr für Selbstbewusstsein gesorgt, als dass sie davon irgendwie traumatisiert oder abgekämpft wirkt. Sie hat einen guten Platz. Und eine schöne Anekdote: "Beim BR gibt es mehr Tontechnikerinnen als Tontechniker", sagt sie. Nicht wegen einer Quote. Sondern weil Tontechnik früher vor der Digitalisierung bedeutete, mit filigranen, empfindlichen Magnettonbändern zu hantieren. Eine Arbeit, die man - Achtung, Klischee - näh- und stickgeschulten Frauenhänden eher zugetraut habe.

So eindeutig ist das mit den Männer- und Frauenberufen also doch nicht - und das ist auch schön. Vor allem, wenn man jemanden wie Martha Bahr trifft, die da dann völlig geschlechtsunspezifisch sehr tolle Dinge macht. Als Panic Girl empfindsame Musik, die aber auch kühl, bestimmt und hart sein kann. Empfindsame Musik, die sich zurücknehmen kann, um den Platz für den Inhalt zu lassen, für Rundfunkbeiträge. Und eine Plattenfirma für Frauen.

"In der Modularszene gibt es viele tolle Künstlerinnen", sagt sie. Hat sie über Instagram gefunden. Hélène Vogelsinger, eine Französin, die nur in alten verfallenen Häusern auftritt und davon Videos macht, die sie dann veröffentlicht. Oder Julia Bondar, die selbst auch Modular-Synthesizer baut. Auf den einschlägigen Veröffentlichungen der Szene aber: Männer. Fast ausschließlich. Deshalb hat Bahr "i u we records" gegründet, darauf die Compilation "connected" mit der Musik all dieser tollen Musikerinnen veröffentlicht. Und aktuell ihr eigenes neues Album.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2021
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