Süddeutsche Zeitung

Kritik:Wärmestrom für das Orchester

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Beifallsstürme für die Münchner Philharmoniker mit Dirigent Andris Nelsons und Pianist Yefim Bronfman beim Konzert in der Isarphilharmonie.

Von Harald Eggebrecht, München

Aufregend, begeisternd, tiefgründig, packend - kurz: großartig gelang dieses Konzert der Münchner Philharmoniker in der Isarphilharmonie, das Andris Nelsons, Chef des Boston Symphony Orchestra und Gewandhauskapellmeister in Leipzig, eindringlich und mit höchster Detailaufmerksamkeit dirigierte, und bei dem Yefim Bronfman imponierend Sergei Rachmaninows mächtiges, nicht nur den Pianisten und das Orchester bis an die Grenzen der Erschöpfung forderndes 3. Klavierkonzert spielte.

Bronfman entwickelte das Stück als vielgestaltigen Roman, die Energien vor den dramatisch wuchtigen Auftürmungen so stauend, dass sie sich zwar eruptiv, aber doch auch entspannend entladen konnten. Dieser Ansatz pianistischen Erzählens vermied jegliche Aufdringlichkeit. Bronfman hat es nicht nötig, sich plakativ mit fetten Rubati oder aufgesetztem Donnern in Szene zu setzen. Bei ihm steht Rachmaninows Melancholie, seine Sehnsucht nach Schönheit und zugleich das Wissen um ihren unausweichlichen Verlust im Mittelpunkt, ermöglicht durch Bronfmans gestaltende Virtuosität. Nelsons und die Philharmoniker folgten dem pianistischen Romancier durch die Abenteuer der drei Sätze mit hoher Sensibilität und anrührender instrumentaler Wärme. Bronfman dankte dem Beifallsjubel mit einer Demonstration seiner dramatischen Kraft, mit dem rasenden Finale von Beethovens "Appassionata".

Andris Nelsons dirigiert mit federnder Kraft und leichtester Hand

Das Geheimnis von Nelsons Dirigieren ist genau dieser Wärmestrom, den er wunderbar auf das Orchester zu übertragen vermag, gepaart mit federnder Kraft und nie nachlassender Sorgsamkeit gegenüber den dynamischen, rhythmischen und klangfarblichen Nuancen des Geschehens. Dieser physisch schwere Dirigent vermag riesige Melodiebögen zu spannen mit weit ausholenden Armen, er versteht es, den Prozess von einer Gruppe zur anderen nahtlos überzuleiten und mit leichtester Hand die Pointen, das elfenhaft Tänzerische oder boshaft Zustechende in Sergei Prokofjews 5. Symphonie zu inszenieren. Wie im ersten Satz aus Sanftheit knirschendes Fortissimo-Grauen wird und sich dann erschöpft zurückverwandeln kann, wie im Scherzo Leichtigkeit in martialische Schärfe umschlagen kann, wie sich von Nelsons und den Philharmonikern grandios entfaltete Adagio-Innigkeit zur bedrohlichen Akkordwand aufrichtet, und wie das finale Allegro giocoso in Schlagzeuggewittern explodiert - Nelsons und die Philharmoniker, die sich gegenseitig zu Recht feierten und gefeiert wurden, haben Prokofjews Symphonie in all ihren Widersprüchlichkeiten denkwürdig erzählt.

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