Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Auf der Flucht

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Auf der Flucht vor dem Oktoberfest gibt es bessere Orte als das französische Giverny. Aber wenigstens findet man dort Freunde

Von Karl Forster

Es ist noch nicht sonderlich lange her, da tobte in der Stadt noch das Oktoberfest, weswegen sich so mancher auf die Flucht begab; sei es ins Piemont, wo es seit Erfindung einer gewissen Süßigkeit keine Piemontkirschen mehr gibt; sei es nach Kreta, wo der Wein nach künstlichem Harz schmeckt; sei es nach Frankreich, wo sie in Bayeux die erste Bildzeitung ausstellen, sie stammt aus dem elften Jahrhundert; und wo ein Teich im Städtchen Giverny einen an die Neue Pinakothek in München erinnert und daran, wie schön es doch sein könnte, dem Trubel rund um die Wiesn zu entgehen, wenn nicht . . . ja, wenn es in diesem Giverny, nordwestlich von Paris gelegen, nicht fast genauso zuginge wie zur Festzeit in München. Nur dass hier der Trubel das ganze Jahr anhält. Denn hierher lockt das Arbeitshaus des Malers Claude Monet Chinesen und sonstige Menschen aus aller Welt, die den Teich sehen wollen, den Claude Monet so oft gemalt hat und der in einer Version auch in der Münchner Pinakothek hängt.

Man könnte also sagen, als Münchner fühlt man sich sofort zu Hause hier in Monets Atelier und Küche und Garten, es fehlen nur das "Oans, zwoa, gsuffa" und ähnliche kulturelle Highlights. Und als man dann im nahen Café zur Erholung von all den Seerosen und Chinesen und Nachen und Chinesen und Blumen und Chinesen ein Bier bestellt, fragt der Mann hinterm Tresen, wohl wegen des schrägen Akzents, wo man denn herkomme. Aus Deutschland. Ja und wo in Deutschland? Aus München. Ach, München! Aber da sei doch gerade Oktoberfest! Eben, ja, deswegen. Man sei auf der Flucht. Und da komme man nun ausgerechnet zu ihnen, nach Giverny, ins Monet-Haus voller Chinesen. Eine seltsame Flucht sei das.

Dann setzt sich der Mann zu den Fremden aus München an den Tisch, schaut blinzelnd in die Sonne, als ob es keine Chinesen gäbe, und sagt: Ja, das kann ich schon verstehen, das mit eurer Flucht. Ich würde auch gerne fliehen von hier. Vielleicht nach München, wenn kein Oktoberfest ist. Der Münchner lässt seine Visitenkarte da. Man weiß ja nie.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2018
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