Süddeutsche Zeitung

Münchner Klischees:Veronika, der Stenz ist da

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Mit dem Frühling kommen die Hormone, in München ganz besonders. Sind hier nicht alle ein bisschen Monaco Franze? Oder wären sie es nur gerne?

Kolumne von Franziska Schwarz

Jetzt müsste er doch wieder unterwegs sein. Die Münchner Cafés stellen ihre Stühle raus, und dort sitzt er dann und ist sich gewiss, dass bestimmt eine Gelegenheit kommt. Zwar fragen sich im Frühling auch Männer aus Berlin, Dresden oder Dortmund, ob bei der Dame da drüben was gehen könnte. Doch der Münchner Mann gibt sich die Antwort selbst: Ja, natürlich. Ein bisschen was geht immer.

Helmut Dietl hat Anfang der 1980er mit dem "Monaco Franze" die Vorlage für den modernen Stenz geliefert. "Immer lässig und von etwas windiger Eleganz" hat Dietl seine Serienfigur charakterisiert, die für die Ewigkeit an Schauspieler Helmut Fischer kleben blieb. Ein Lebemann, der sich für Menschen interessiert, unter denen natürlich auch Frauen sind. Eigentlich überwiegend Frauen.

Dietl siedelte seinen Stenz in München an, an Orten wie dem Parkcafé, dem Schumann's oder der Goldenen Bar - zumindest wären das wohl heute die Kulissen. Dietl traf einen Nerv, die Serie wird im Fernsehen wieder und wieder gesendet. Nur, woher nahm er die Vorlage für seinen Stenz?

In Bayern gibt es ihn seit jeher, auch wenn er nicht immer so genannt wurde. "Er hat Beine wie Säulen und Arme wie Dreschflegel", so beschreibt Heimatromancier Ludwig Ganghofer 1880 den Stenz. Ein einfacher Naturbursche, von der Evolutionsstufe eines Monaco Franze noch weit entfernt. Jahrhundertelang wurden die Legenden vom Stenz befeuert - vor allem von Männern, die oft selbst Stenze waren, wie Autor Thomas Grasberger im Buch "Stenz - Die Lust des Südens" andeutet.

Was die Entwicklung des Stenzentums begünstigte, das kann niemand so genau sagen. War es das voralpenländische Klima? Eine große Rolle spielten sicher die katholische Kirche und das Geld. Die Sexualmoral war rigide, im Bußgeldkatalog "Lex Baiuwariorum" standen auf Beischlaf ohne Heiratsabsichten zwölf Schilling Strafe. Heiraten durfte aber nur, wer ein bestimmtes Vermögen hatte - die Obrigkeit war da bis 1918 sehr wachsam.

Das musste ja nach hinten losgehen: Die Bayern trieben es umso bunter. Im "Bayerischen Dekameron" von Oskar Maria Graf etwa wird dem Fensterln gefrönt. Es ist nicht überliefert, wie viele Männer beim heimlichen Einstieg durch das Schlafzimmerfenster der Angebeteten von der Leiter stürzten. Sicher ist aber, dass für Frauen die Liaison mit einem Stenz lange Zeit böse endete.

Mädchen, die ungewollt schwanger wurden, gab es viele. Sie wurden beim Haberfeldtreiben mit Heugabeln über die Felder getrieben, ein Spektakel mit Hunderten Teilnehmern und Zuschauern, das erst 1840 verboten wurde. Nicht besser war es Agnes Bernauer ergangen. Ihr Stenz war der bayerische Herzog Albrecht III, doch dessen Vater hielt die Verbindung für nicht standesgemäß. 1435 ließ er Bernauer in der Donau ertränken, sie wurde nur 25 Jahre alt.

In München nahm sich die Schriftstellerin Lena Christ 1920 das Leben. Sie hatte ihren Mann für einen jungen Sänger verlassen, war daraufhin erst in Not und dann auf die schiefe Bahn geraten.

Der Stadt-Stenz steht dem Land-Stenz in wenig nach - wo viele Menschen aufeinander hocken, muss es ja zu Ausfällen kommen. "Ihre Sitten sind so verdorben, als sie es in einem Gewirr von 40000 Menschen sein müssen", stellte Reiseschriftsteller Johann Kaspar Riesbeck Ende des 18. Jahrhunderts fest. Schuld daran aus seiner Sicht, wenigstens zum Teil: die bayerische Frau. "Die Weiberleuthe gehören im Durchschnitt gewiß zu den schönsten der Welt", schrieb Riesbeck.

Später konnten die Frauen aus den angeblich losen Sitten auch etwas Nutzen für sich ziehen. Schriftstellerin Franziska zu Reventlow gab in der Blütezeit der Schwabinger Bohème öffentlich zu, für Körperkontakt gelegentlich Geld zu nehmen, das damalige It-Girl Emmy Hennings tat das ebenfalls. Und beide bereuten es anscheinend nicht. Waren sie die ersten weiblichen Stenze? Der Anarchist und erwiesene Hallodri Erich Mühsam war zu der Zeit jedenfalls ganz bei ihnen, er plädierte für die "Freiheit in Sexualdingen" - sicher nicht ganz uneigennützig.

Der Stenz-Entwicklungsstufe des Monaco Franze näherte man sich aber erst Jahre später. Davor gab es noch den 50er-Jahre-Schmalztollen-Stenz, die 68er-Variante (Kommunen-Stenz Rainer Langhans) und dann den Stenz mit Cordschlaghosen und Redebedürfnis in den 1970ern.

Franz Münchinger, der Monaco Franze, sucht seine Gemahlin, sein "Spatzl", dargestellt von Maria Kubitschek, nach seinen Eskapaden stets zu besänftigen. Denn eigentlich hat sie das Sagen. In der letzten Folge endet er fast auf der Straße - bevor sein Spatzl ihn doch wieder aufnimmt. Sie hat die Verhältnisse längst durchschaut.

Und im Jahr 2017? Was ist jetzt mit all den Männern, die in den 1980ern mit Monaco Franze sozialisiert wurden? Sind es die, die heute auf Tinder mit Sonnenbrille auf der Kühlerhaube posieren? Erwarten uns auf den Münchner Straßen demnächst lauter bayerische Hagestolze, die bereits am Stock gehen? (Vom Wanderstab der reisenden Handwerker leitet sich der Begriff "Stenz" her.) Wohl eher nicht.

Weil München schon lange nicht mehr hauptsächlich von Gebürtigen bewohnt wird, gesellen sich zum Münchner Stenz jetzt die ganzen Stenze, die von der Spree, der Elbe oder der Ruhr in die Stadt gekommen sind. Lässige Eleganz? Eher ziemlich windige Kopien.

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