Süddeutsche Zeitung

Zweite Stammstrecke:Der mühsame Weg in die Tiefe

Lesezeit: 3 min

2028 soll der neue S-Bahnhof 40 Meter unter dem Marienhof fertig sein. Doch vorher müssen 95 Brunnen gegraben werden. Ein Ortsbesuch.

Von Andreas Schubert

Wenn es um die Großbaustelle am Marienhof geht, gerät Emanuel Schworm ins Schwärmen. Als Münchner, sagt der 36-Jährige, freue er sich wirklich, an diesem Projekt im Herzen seiner Heimatstadt beteiligt zu sein. "Das ist das Beste, was mir passieren konnte." Schworm ist Geotechnik-Ingenieur und dafür zuständig, dass die Baugrube für den Tiefbahnhof der zweiten S-Bahnstammstrecke nicht vom Grundwasser überflutet wird. "Bauwasserhaltung" nennt sich das. Dabei wird Grundwasser abgepumpt, um den Druck auf die Baugrube ausreichend zu verringern.

95 Brunnen und 25 Grundwassermessstellen braucht es, um die Baustelle zu sichern. Denn in 40 Metern Tiefe, wo später die S-Bahnröhre verlaufen soll, ist der Druck enorm. Das abgepumpte Wasser wird dann in den westlichen Stadtgrabenbach geleitet und fließt in die Isar. Deshalb bohren sich in der Baugrube und auch außerhalb davon Maschinen bis zu 60 Meter tief ins Erdreich. Ein Brunnen verläuft sogar schräg 70 Meter weit bis unter die Häuserzeile an der Dienerstraße.

Es geht sehr geordnet und routiniert zu auf der Baustelle, deren Sound ein beständiges Dröhnen von Baggern und Bohrgeräten ist - mal leiser, mal lauter. Innerhalb der Absperrung kann man gut verstehen, dass die Lärmschutzwand viereinhalb Meter hoch ist und die umliegenden Häuser Schallschutzfenster in den höheren Etagen bekommen haben. Trotz der Hitze müssen die Arbeiter selbstverständlich ihre Sicherheitskleidung tragen - Helme, Westen, Schuhe mit Stahlkappen. Auch Besuchern der Baustelle bleibt das Outfit nicht erspart. Unter dem Plastikhelm staut sich die Hitze ordentlich - und als ein Arbeiter die Reifenwaschanlage anwirft, würde man gerne zumindest für eine kurze Dusche mit den Lastwagen tauschen, die durch diese Anlage fahren müssen, bevor sie das Gelände gen Hofgraben und Maximilianstraße verlassen.

Seit gut vier Jahren wird nun schon an der Stammstrecke gearbeitet. Zunächst sollte alles 2026 fertig sein, dann korrigierte die Bahn den Zeitplan auf 2028. Auf die Frage, ob dieser denn wirklich eingehalten werden kann, gibt es seitens der Bahn nur ausweichende Antworten. Man werde darüber informieren, wenn es so weit sei, ist standardmäßig zu hören. Aber als Laie kann man sich schwer vorstellen, dass das Riesenprojekt tatsächlich schon in sieben Jahren abgeschlossen sein soll. Denn der eigentliche Aushub für den Tiefbahnhof hat noch nicht einmal begonnen. Vier Meter Erdreich wurden bisher abgetragen, die aktuell prägende Maßnahme ist die Absenkung des Grundwasserspiegels, der übrigens dafür sorgt, dass die angrenzenden Gebäude sich um wenige Millimeter senken können.

Der Untergrund mit seinen Schotter-, Sand-, Ton-, Schluff- und Kiesschichten sowie den vier sogenannten Grundwasserstockwerken ist anspruchsvoll. Noch tiefer als 40 Meter zu graben, wäre laut Geotechniker Schworm eine Herausforderung. Dabei gibt es durchaus Bahnhöfe die viel tiefer liegen - den Weltrekord hält mit 105,5 Metern der U-Bahnhof Arsenalna in Kiew.

Vom Herbst dieses Jahres an beginnen die Arbeiter mit der Herstellung des Betondeckels, unter dem dann in die Tiefe gegraben wird. Dann geht es erst richtig los mit den Lkw-Fuhren, die zur Anfahrt übers Tal und die Sparkassenstraße geleitet werden, zur Abfahrt dann über die Maximilanstraße. Insgesamt sind 25 500 An- und Abfahrten angekündigt.

Auch andernorts geht es mit der Stammstrecke voran. Während an der geänderten Streckenführung im Osten und der neuen Tunnelstation an der Friedensstraße noch geplant wird und das Eisenbahn-Bundesamt die Baugenehmigung erteilen muss, ist am Bahnhof Laim, wo sich später die erste und zweite Stammstrecke treffen, schon viel zu sehen. Hier wird Ende Juli die bereits montierte neue Stabbogenbrücke in einem Stück über die Gleise geschoben. Über die Brücke werden die Gleise der zweiten Stammstrecke in Richtung Tunnelportal an der Donnersbergerbrücke geführt. Sichtbar ist auch schon die sogenannte Umweltverbundröhre für Fußgänger, Radfahrer und öffentlichen Nahverkehr. Vom Norden her hat die Unterführung bereits den Bahnhof Laim erreicht. 2022 soll dann das Graben für die Röhre auf der Südseite des Bahnhofs starten.

Was Anwohner in der Nähe der Friedenheimer Brücke weniger freuen wird: Westlich der Brücke laufen in den kommenden Monaten bis voraussichtlich November nächtliche Tiefbauarbeiten, die nach Angaben der Bahn nur nachts stattfinden können. Aus Sicherheitsgründen muss während der gesamten Bauzeit eine sogenannte Rottenwarnanlage in Betrieb sein. Diese warnt die Arbeiter mit lauten Signaltönen, wenn sich ein Zug nähert. Das wird voraussichtlich auch im Wohngebiet Hirschgarten und in der Landsberger Straße zu hören sein.

Am Hauptbahnhof haben die Bauarbeiter zuletzt mit Großgeräten 60 Stützpfeiler und die Betonwand um die Baugrube herum hergestellt. Auch hier lässt die Bahn Brunnen und Messstellen für die Bauwasserhaltung bauen, bevor - analog zum Marienhof - ein Betondeckel erstellt wird, unter dem der Aushub stattfindet. Etwas ungemütlicher wird es für die Fahrgäste auch in der Gleishalle des Hauptbahnhofs, wo am Querbahnsteig ebenfalls demnächst zehn Brunnen und Messstellen gebohrt werden. Diese Bohrungen finden in abgesperrten Bereichen statt. Dafür hat die Bahn vier Kioske und die Kundeninformation abgebaut.

Wer sich selbst ein Bild von den Baustellen machen möchte, kann auf der Homepage "2.stammstrecke-muenchen.de" wieder Führungen buchen. Am 9. Juli gibt es noch freie Plätze für zwei Termine am Tunnelportal West, am 8. August für zwei Termine am Marienhof. Die Führungen am Hauptbahnhof sind bereits ausgebucht.

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Quelle:
SZ vom 19.06.2021
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