Süddeutsche Zeitung

"Bürokratiemonster":Warum Münchner ewig auf Wohngeld warten müssen

Lesezeit: 4 min

Eine Reform soll dafür sorgen, dass mehr Haushalte die staatliche Unterstützung erhalten. Doch in der Behörde türmen sich die Aktenberge. Die Bearbeitung von Anträgen dauert inzwischen über ein Jahr - und viele werden abgelehnt.

Von Sven Loerzer

Die Pendelhefter eines führenden Herstellers von Registratursystemen sind - wie könnte es anders sein - grau. Vier Stapel der sonst im Schrank hängenden Akten harren auf dem Schreibtisch im Wohnungsamt der Bearbeitung. Bunt sind nur die Zahlen an der Seite, die Ordnung bringen. Die Ziffernsignale, wie sie der Hersteller nennt, sind selbstklebend und werden von Hand aufgeklebt, wenn ein neuer Antrag auf Wohngeld schriftlich oder online eingeht. Die Ziffern ergeben die Wohngeld-Nummer, sie machen die Wohngeldakte im Keller des Verwaltungsgebäudes wieder auffindbar, wo schätzungsweise 60 000 Akten lagern. Die elektronische Akte soll kommen, aber wann, steht noch nicht fest.

Wohngeld beantragen ist schon wegen des achtseitigen Formulars kein Kinderspiel - aber auch die Bewilligung ist alles andere als ein Vergnügen. Das wird schnell klar bei einem Besuch in der Werinherstraße 87, wo in einem fast schon steril wirkenden modernen Gebäude die zentrale Wohngeldstelle des städtischen Amts für Wohnen und Migration untergebracht ist.

Für die rund 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, viele in Teilzeit, ist es kein leichter Job, weil der Berg aus Anträgen in all den Jahren schneller gewachsen ist, als er sich abarbeiten lässt. Ende Februar waren 11 722 Anträge "offen oder in Bearbeitung befindlich", wie das im Verwaltungsjargon heißt. 2583 Anträge gingen allein im Januar ein, 133 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. Im Februar waren es 2239, das Doppelte im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das neue Wohngeld Plus, das seit Januar mehr Menschen mit geringem Einkommen deutlich mehr Geld bringen soll, hat die Antragszahlen schon seit September deutlich steigen lassen. Eine Verdreifachung, wie erwartet, gab es bislang noch nicht.

Immerhin konnten im Januar 1079 und im Februar 1103 Anträge abschließend bearbeitet werden. Lag die Bearbeitungsdauer schon im vergangenen Jahr bei zwölf Monaten, sei sie inzwischen auf 13 Monate gestiegen, sagt der Leiter der Dienststelle. Er bittet um Verständnis, dass er seinen Namen nicht genannt haben will. Auch die Sachbearbeiterin, auf deren Schreibtisch sich die Akten stapeln, will das nicht. Zu groß sind die Anfeindungen wegen der langen Wartezeiten, zu schlecht die Erfahrungen, zu übel die Drohungen, die dann in ihrem E-Mail-Eingang landen könnten.

Der Druck, der auf den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lastet, ist groß, auch wenn immerhin 17 neue Kräfte gewonnen werden konnten, die nun eingearbeitet werden. Das nimmt sechs Monate in Anspruch, weil die Regelungen kompliziert sind. "Es ist eine Endlosschleife, wir können nicht mehr als arbeiten und bemühen uns nach Kräften", sagt die Sachbearbeiterin. Zehn weitere Stellen sollen noch dazukommen.

Glücklich mit dieser Reform ist keiner im Sozialreferat, auch wenn niemand bestreitet, dass die Hilfe wichtig ist. Obwohl sich München und auch andere Großstädte über den Städtetag für eine Vereinfachung der Bewilligung mit konkreten Vorschlägen eingesetzt haben, blieb sie aus. Von einem "Bürokratiemonster" sprach bereits Sozialreferentin Dorothee Schiwy. "Es ist eher noch komplexer geworden", sagt die Sachbearbeiterin und stöhnt.

Eine Qual für sie - und für die Antragsteller. Denn in 95 Prozent der Fälle fehlen "sehr viele Informationen, sind nicht alle Fragen beantwortet oder sind die nötigen Bescheinigungen nicht beigelegt". Dann muss die Sachbearbeiterin ein Anschreiben rausschicken, um das alles einzuholen. Wenn sie Glück hat, ist nach vier Wochen alles da. Oft ergeben sich daraus aber neue Fragen. Die einzige Erleichterung sei, dass eine Bewilligung für 24 statt zwölf Monate möglich ist, wenn, wie etwa bei Rentnern, keine wesentlichen Veränderungen der Verhältnisse zu erwarten sind.

Um den zusätzlichen Aufwand möglichst gering zu halten, hat die Stadt bereits damit begonnen, 500 Mitarbeitende von Wohlfahrtsverbänden zur Wohngeldberatung in ihren Einrichtungen zu schulen. Zusätzlich hat der Stadtrat nun beschlossen, bereits am 3. April eine zentrale Beratungsstelle zum Wohngeld Plus in der Werinherstraße 87 einzurichten. Sie soll mit zunächst fünf Vollzeitstellen kompetente Beratung bieten, damit "dann idealerweise überwiegend Anträge ankommen, bei denen voraussichtlich auch ein Anspruch auf Wohngeld besteht", so Bürgermeisterin Verena Dietl. Eigentlich erlaubt der Wohngeldrechner im Internetangebot der Stadt eine ziemlich zuverlässige Schätzung des Anspruchs, sagt der Wohngeldstellen-Leiter, aber nur dann, wenn Brutto- und Nettobeträge nicht verwechselt würden.

Im Jahr 2022 hatte nicht einmal jeder zweite bearbeitete Antrag auf Wohngeld Erfolg. Die Einkünfte dürfen weder zu hoch, noch zu niedrig sein. Reichen sie nicht aus, um zusammen mit dem Wohngeld den Lebensbedarf und die Mietkosten zu decken, muss Sozialhilfe oder Bürgergeld beantragt werden. Eine grobe Vorklärung könnte deshalb dazu beitragen, aussichtslose Anträge zu vermeiden.

Ein gutes Drittel der Wohngeldanträge kommt von Rentnern, zusammen mit Familien, die mehrere Kinder haben, machen sie den größten Anteil der Bezieher aus. Die Sachbearbeiterin hat gerade einen im Februar 2022 gestellten Antrag auf dem Schreibtisch und überprüft die Angaben, ob die Familie noch an der angegebenen Adresse wohnt. Dabei stellt sich heraus, dass dort ein fünftes, bereits erwachsenes Kind gemeldet ist, das nicht auf dem Antrag für den Haushalt vermerkt ist. Hat es bereits Einkünfte oder geht es noch zur Schule? Also wieder ein Anschreiben zur Klärung. "Ich frage auch noch alles andere ab, es könnte ja in der Zwischenzeit schon eine Mieterhöhung gegeben haben." Mitunter fehlt der Kindergeldbescheid oder der Bescheid zum Unterhaltsvorschuss. "Alle Einkünfte müssen erklärt werden, auch aus Mini-Jobs oder ausländischen Renten", sagt die Sachbearbeiterin. Den Antrag kann ohnehin nur derjenige stellen, der den Mietvertrag unterschrieben hat.

So gibt es eine ganze Menge Fallstricke. Und ihr Vorgesetzter räumt ein: "Das Antragsformular erschlägt einen schon. Aber eine Verschlankung geht nur mit einer Entschlackung der gesetzlichen Grundlagen einher." Dass sich die Bundespolitik darum nicht kümmert, das sei im vergangenen Jahr schon bald absehbar gewesen, ergänzt die Sachbearbeiterin. Immerhin seien die Auszahlungen dank Wohngeld Plus deutlich angestiegen, sagt ihr Chef. Grundsätzlich sei auch die Ausweitung des Kreises der Berechtigten zu begrüßen.

Im Jahr 2021 bezogen gerade einmal 0,4 Prozent der Münchner Haushalte Wohngeld. Die von der Bundesregierung angestrebte Verdreifachung sei deshalb noch viel zu gering, meint Schiwy. Nötig wäre vor allem eine Anpassung der für das Wohngeld geltenden Miethöchstbeträge an die tatsächliche Mietsituation in München. Und natürlich eine Entbürokratisierung.

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