Süddeutsche Zeitung

Bezahlbarer Wohnraum:Eine Kleinstadt ohne Spekulanten

Lesezeit: 3 min

Wohnraum für 12 000 Menschen haben Münchner Genossenschaften in den vergangenen Jahren errichtet oder geplant. Sogar Traditionsunternehmen wollen auf ihren Grundstücken neu bauen - doch die Hürden sind manchmal hoch.

Von Anna Hoben

Was der Einzelne nicht vermag, das vermögen viele: Die Idee von Friedrich Wilhelm Raiffeisen ist heute so aktuell wie vor mehr als 150 Jahren. Es ist der Gründungsgedanke der Genossenschaften, die in München im Wohnungsbau seit einigen Jahren eine Renaissance erleben. Wohnraum für 12 000 Menschen ist so in den vergangenen Jahren entstanden, ist noch im Entstehen oder soll in naher Zukunft entstehen - zusammengenommen ergibt das eine eigene kleine genossenschaftliche Stadt in der Stadt München. Die Wohnungen haben den unschätzbaren Vorteil, dass sie "astrein der Spekulation entzogen" sind, wie es Christian Stupka ausdrückt, Vorstand der 2006 gegründeten genossenschaftlichen Immobilienagentur (Gima), in der mittlerweile 33 Wohnungsunternehmen organisiert sind, davon 28 Genossenschaften.

Insgesamt gibt es in München nun um die 50 Wohnungsbaugenossenschaften; 18 davon haben sich seit 2014 gegründet. Am Dienstag haben Stupka, Stadtbaurätin Elisabeth Merk und Vertreter verschiedener Genossenschaften die jüngsten Entwicklungen in dem Bereich vorgestellt - im Bellevue di Monaco, dem Kulturzentrum und Wohnhaus für Geflüchtete im Herzen der Stadt, das ebenfalls als Genossenschaft organisiert ist. Der wohl interessanteste Trend: Jene Traditionsgenossenschaften, die jahrzehntelang nichts anderes taten als ihren Bestand zu verwalten, hat wieder die Baulust gepackt. Viele von ihnen besitzen noch Grundstücke, deren Potenziale sie jetzt nutzen wollen.

Zum Beispiel die Genossenschaft München-West: In Fürstenried-Ost hat sie auf einem früheren Parkplatz 48 Wohnungen gebaut. Das Projekt ist 2019 fertiggestellt worden; für eine Miete von 9,80 Euro kalt pro Quadratmeter können Familien dort wohnen. "Wir haben in den vergangenen Jahren erkannt, dass es eine große Bereitschaft gibt, wieder zu bauen", sagt Thomas Schimmel, Vorstand der Genossenschaft München-West sowie der Gima. Trotzdem erforderte das zunächst viel Kommunikation: Bevor durch Nachverdichtung ein Haus entsteht, müssen die Mitglieder überzeugt werden - denn sie sind die Eigentümer des Unternehmens, also der Genossenschaft.

Eine Reihe von weiteren Themen macht die Sache nicht gerade unkomplizierter: Abstandsflächen, die Sorgen der Nachbarn, Bäume oder Denkmalschutz. Was die Themen Verkehr und Mobilität betrifft, wünschen sich die Genossenschaften noch deutlich mehr Unterstützung von der Stadt. "Da liegt der Fokus oft eher darauf, warum etwas nicht geht", beklagt Schimmel. Auch bei anderen Vorhaben gehe es mitunter zu langsam voran. Ein Beispiel aus dem Westend: Eine Genossenschaft wolle per Dachausbau 50 Wohnungen errichten; die Baugenehmigung scheitere bislang jedoch an der Traufhöhe. Dabei hätten Genossenschaften noch viele Dächer, die sie ausbauen könnten. Knapp 200 Wohnungen könnten so insgesamt entstehen - und nicht für 20 Euro aufwärts pro Quadratmeter wie sonst meist üblich bei der Aufstockung von Münchner Dächern, sondern eher für zwölf Euro.

"Ich schreibe fleißig mit", versichert Stadtbaurätin Merk an der Stelle mit den Wünschen. Baugenehmigungsfragen seien "diffizil", räumt sie ein, allerdings sei "jeder Fall anders" und grundsätzlich könne man bei Genehmigungen Genossenschaften nicht anders behandeln als andere Akteure.

Wo sie die Stadt aber sehr wohl mehr in der Pflicht sieht: beim Quartiers- und Stadtteilmanagement. Genossenschaften nehmen der Stadt da viel Arbeit ab, indem sie deutlich mehr bieten als nur ein Dach über dem Kopf: umfangreiche Angebote für die Nachbarschaft nämlich. "Sie können das nicht mehr alles stemmen", sagt Merk. Ihr schwebt vor, Quartiersgenossenschaften zu fördern, im Prinz-Eugen-Park etwa gibt es eine solche bereits. Auf der Ebene von Bebauungsplänen will sie künftig auch den Raum zwischen den Baufeldern stärker in den Fokus nehmen. Arbeitstitel: Zwischenraumgenossenschaften. All diese Themen sollen im nächsten wohnungspolitischen Handlungsprogramm "Wohnen in München VII" eine große Rolle spielen. Das große Thema, so Merk, blieben die Flächen: "Wo kriegen wir neue Flächen her und wie teilen wir sie auf?"

Dass die Stadt ihre eigenen Flächen nur noch im Erbbaurecht vergibt, sehen die Vertreter der Genossenschaften mit gemischten Gefühlen. Zwar waren zuletzt die Grundstücke zum Kauf nahezu unbezahlbar geworden. Auf der anderen Seite werde die Vergabe im Erbbaurecht dazu führen, "dass einzelne Genossenschaften nicht bauen", prophezeit Christian Stupka.

Aus der Politik heiße es zwar, es gebe keinen Grund zu befürchten, dass die Stadt die Grundstücke in 80 Jahren verkauft. Aber: Das hätten die Post- und Bahngenossenschaften einst auch gedacht. Nach der Privatisierung von Post und Bahn müssen die Genossenschaften jedoch die Grundstücke zu horrenden Preisen kaufen. Die Folge für die Mieter: drastische Mieterhöhungen. "Wir finden uns damit ab, dass es nur noch Erbbaurecht gibt", sagt Stupka, "aber die Verträge müssen besser werden". Sein Vorschlag: ein immerwährendes Erbbaurecht, statt eines zeitlich begrenzten.

Einig sind sich alle darin, dass München beim Thema Genossenschaften anderen Städten einiges voraus hat. Münchner Dreiklang, so nennt Stupka den Grund dafür: aktive Genossenschaften, politische Richtungsentscheidungen und engagierte Stadtplanung. So entsteht durch Genossenschaften immer wieder Innovation. An einer solchen arbeitet etwa die Kooperative Großstadt gerade, eine der jungen Genossenschaften. Nach ihren Wohnbauprojekten in der Messestadt Riem und in Freiham haben sie sich den St.-Quirin-Platz vorgeknöpft. Ein unwirtlicher Ort, den sie aufwerten möchten durch ein Haus zum Wohnen, mit einem grünen Dachpark, mit Platz für Probenräume, ein Kino, Cafés. Noch ist es eine "abstrakte Vision", wie Markus Sowa von der Kooperative sagt. Zukunftsmusik, aber sehr spannende.

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SZ vom 05.08.2020
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