Süddeutsche Zeitung

Verkehr in München:Der Zukunft entgegenradeln

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Von Andreas Schubert

In den Sechzigerjahren gab es eine Comicfigur, die mit ihrer Armbanduhr telefonieren konnte. Was einst Comic war, ist heute längst Realität. Stadtbaurätin Elisabeth Merk nimmt die Uhr als Beispiel dafür, dass manche Visionen, die heute vielleicht noch belächelt werden, in nicht allzu ferner Zukunft normal sein könnten. Flugtaxis zum Beispiel, oder Roboter, die Pakete ausliefern. Nicht mehr ganz so utopisch erscheinen da die autonom fahrenden Busse, die bereits erprobt werden, oder urbane Seilbahnen, die in manchen Städten schon längst ein wichtiges Verkehrsmittel sind.

Am Freitag hat Merk zusammen mit Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ein "Gesamtkonzept für Münchens Mobilität der Zukunft" vorgelegt, das noch dieses Jahr per Grundsatzbeschluss verabschiedet werden soll. Bei diesem spielen Visionen eine große Rolle. Oberstes Ziel ist es dabei, den Autoverkehr zu reduzieren und neue Mobilitätsformen zu fördern.

Und die Liste der Ideen ist lang. Vorstellbar sind laut Planungsreferat unter anderem ins Umland führende Radschnellwege in alle Himmelsrichtungen. Der einzige, der derzeit geplant wird, ist der nach Garching im Norden. Visionen, wenn auch zum Teil schon bekannte, sind die Ringschlüsse der S-Bahn im Norden und Süden der Stadt, neue U-Bahnen nach Solln, Planegg, Germering, Heimstetten, Dachau oder Ottobrunn, eine U-Bahn-Spange zwischen Freiham und Moosach und ein U-Bahn-Ringschluss im Norden.

Bei der Tram sehen die Überlegungen neben den bereits geplanten Ausbauten ein ganzes Spinnennetz an neuen Verbindungen vor, die auch ins Umland führen würden. Die bisher einzige Trambahn, die die Stadtgrenzen verlässt, ist die derzeitige Linie 25 nach Grünwald. Warum sollte eine Tram nicht auch nach Dachau fahren, oder nach Gräfelfing oder Unterföhring? Und warum sollte man nicht Lücken schließen? Etwa zwischen Harlaching und Neuperlach, zwischen Moosfeld und Johanneskirchen oder zwischen Harras und Harlaching? Insgesamt 15 neue Tramlinien hat die Verwaltung auf der Liste.

Weil es auch Lösungen für die Autofahrer braucht, denkt die Stadt darüber nach, sogenannte High-occupancy vehicle lanes (HOV), etwa auf dem Mittleren Ring und den nach München führenden Autobahnen, anzuregen. Die HOV sind aus den USA bekannte Fahrspuren, auf denen nur öffentlicher Nahverkehr sowie Autos fahren dürfen, die mit mehreren Personen besetzt sind.

Derzeit stimmt die Stadt mit dem Freistaat ab, wo Pilotstrecken entstehen könnten. Im Gespräch sind laut Planungsreferat Korridore im Bereich der A 8 West, der A 8 Süd und der A 9 im Raum München Nord. Danach sollen Machbarkeitsstudien für besagte Strecken folgen. Damit der individuelle Autoverkehr gar nicht erst in die Stadt fährt, sind auch mehrere Park-und-Ride-Standorte am Stadtrand angedacht. Und auch eine deutliche Verteuerung der Parkplätze im Zentrum wären laut Reiter und Verwaltung nötig - doch hier darf die Stadt per Gesetzeslage die Preise nicht selbst erhöhen.

Lange Liste, langer Zeitraum: 20 Jahre werden wohl nicht reichen, um die Ideen der Stadtplaner umzusetzen. Allein die U9, die bekanntermaßen schon geplant wird, geht wohl frühestens Ende der 2030er-Jahre in Betrieb. Aber OB Reiter und seine oberste Stadtplanerin betonen, dass sie schon jetzt die Weichen für die Zukunft stellen müssen.

Was das alles kosten soll? "Zig Milliarden", meint Reiter. Nach aktueller Gesetzeslage wird die Stadt für die meisten Projekte keine Fördergelder vom Bund bekommen. Doch die Regularien werden derzeit vom Bundesverkehrsministerium überarbeitet. Reiter und Merk fordern zudem neue Regeln bei Planungsprozessen, die derzeit vor allem wegen rechtlicher Auseinandersetzungen sehr lange dauern können - zu lange, um die Infrastruktur schnellstmöglich auszubauen. Wenn zu viel geklagt werde, könne die Stadt vieles nicht rechtzeitig umsetzen, sagt Reiter. "So erreichen wir keine Klimaziele."

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SZ vom 01.02.2020
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