Süddeutsche Zeitung

Udo Lindenberg in München:Wir brauchen Panik

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So grandios und gnadenlos oldschool, dass es schon wieder modern ist: Mit seinem Siebzigerjahre-Coolness-Slang redet Altrocker Udo Lindenberg in der Olympiahalle Klartext. Und Otto kommt auch noch vorbei.

Von Oliver Hochkeppel

Was Rammstein recht ist, ist Udo Lindenberg nur billig: Mit großem Rumms samt Flammenmeer und Pyrotechnik startete der Altrocker in sein Konzert - von der Decke schwebend, nachdem etliche Doppelgänger der "Tür" des auf der überdimensionalen Leinwand gelandeten Weltraum-Jumbojets "Panik 1" entstiegen waren. Udos Crew dürfte ohnehin größer sein als die jedes anderen deutschen Acts.

Zum bewährten, mit etlichen Gastmusikern und den famosen jungen Sängerinnen Nathalia Dorra und Ina Bredehorn verstärkten Panikorchester rund um Jugendfreund Steffi Stephan kam wieder das "Paniktheater" mit zwei Dutzend Tänzerinnen und Darstellern, dazu diesmal auch noch eine üppige Kinderschar, die ebenfalls singt und tanzt. Obendrein schaute zur überschäumenden Freude des Publikums auch noch Otto vorbei, um dem Freund zu huldigen und mit ihm "Auf dem Heimweg wird's hell" (statt "Highway to Hell" natürlich) anzustimmen.

Dass es hell wird, bevor man aus der Halle kommt, konnte man fast befürchten (oder erhoffen), machte der 73-jährige zwar zerfurchte, aber drahtige Udo Lindenberg doch zweieinhalb Stunden lang ohne Pause "sein Ding", wie es in einem Song so schön heißt. Alles zu beschreiben, was an Bildersturm auf der Leinwand, an Konfettikanonen, Lasern, Bühnenbildern, Kostümen und Choreografien in diese Monstershow hineingepackt und aufgeboten wurde, würde diese Konzertkritik sprengen.

Mal schwebten Streicherengel durch die Halle ("Cello"), mal kreiselten Jack-Daniels-Flaschen in Überblendung bedrohlich über dem Bildschirm-Abbild Udos ("Lady Whisky"), mal bahnte sich ein Kirmeswagen den Weg durch die Arena ("Candy Jane"). Alles in allem 32 Stücke trug der Meister vor, quer durch die Dekaden seiner gut 800 Songs langen Karriere, von Siebzigerjahre-Klassikern wie "Alles klar auf der Andrea Doria" oder "Johnny Controlletti" (musikalisch Udos beste Zeit) über den Achtziger-Hit "Sonderzug nach Pankow" bis zu jüngerem Stoff wie "Mein Body und ich".

Und wo wir anfangs schon bei Rammstein waren: Man kann den alten Nuschler-Udo zwar leicht mal nicht verstehen - zumal er sich aktuell "im Englischen Garten ein Bakterium eingefangen" hatte und schwer mit seiner belegten Stimme kämpfte -, aber man kann ihn unmöglich missverstehen. Bei ihm gibt es kein Spiel mit den Bedeutungen, keine zweideutige Symbolik, Udo redet in seinem (damals dem Saxofonisten Olaf Kübler abgeschauten) Siebzigerjahre-Coolness-Slang Klartext.

Erklärt Priester und Nonnen zu "Mann und Mann, und Frau und Frau" und das Zölibat für passé - "so einfach geht das". Legt sich für "Fridays for Future" ins Zeug ("Greta sagt, wir brauchen Panik"). Und lässt seine Bühnen-Kinder kitschig, aber wirkungsvoll Menschenrechts-Artikel zitieren und "Wozu sind Kriege da" singen. Das ist so grandios und gnadenlos oldschool, dass es schon wieder modern ist. Der Rezensent der Frankfurter Rundschau hat wohl deshalb Udo als neuen SPD-Chef vorgeschlagen. Viel besser aber wäre gleich der Posten des Bundeskanzlers. Mit dem Kanzleramt im Hotel Atlantic, da würde es tatsächlich die von Lindenberg rappend beschworene "Bunte Republik Deutschland".

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