Süddeutsche Zeitung

Neuer Chef gesucht:Das Gedächtnis Münchens bleibt unabhängig

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Die Pläne der Grünen für das Stadtarchiv stießen auf Widerstand in der Fachwelt - nun wird der Streit mit einem Kompromiss zu den Akten gelegt.

Von Heiner Effern, München

Das Stadtarchiv, das kommunale Gedächtnis Münchens, bleibt unabhängig und wird weiterhin von einem ausgebildeten Fachmann geleitet. Daneben wird ein kleines Institut für Zeitgeschichte gegründet, das im Kulturreferat angesiedelt wird. Dieser Beschluss des Stadtrats aus der vergangenen Woche dürfte überregional Beachtung finden. Schließlich hatte sich die grün-rote Koalition vorgenommen, das größte Kommunalarchiv Deutschlands grundlegend umzukrempeln und umzusiedeln. Das war auf scharfe Kritik in Fachkreisen gestoßen. Der nun verabschiedete Kompromiss soll die unabhängige Dokumentation des behördlichen Alltags erhalten und die geschichtliche Aufarbeitung der Vergangenheit der Stadt noch einmal stärken.

Ursprünglich hatten vor allem die Grünen darauf gedrungen, das Stadtarchiv in ein Institut für Zeitgeschichte umzuwandeln, mit einer kleinen Abteilung des Kulturreferats zu verschmelzen und auch dort anzusiedeln. Das hätte bedeutet, dass kein ausgebildeter Archivar mehr an der Spitze stehen hätte müssen. Eine solche Entwicklung würde "die systemrelevante Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Stadtarchivs beschädigen und katastrophale Signale in das gesamte kommunale Archivwesen senden", hatte der Vorsitzende des Verbands der deutschen Archivare, Ralf Jacob, erklärt. Doch davon ist die Stadtregierung nun abgekommen, nur der rein historische Teil des Archivs wird in das neue Institut für Stadtgeschichte im Kulturreferat wechseln. Dieses soll am 1. Februar 2022 den Betrieb aufnehmen. Das Archiv bleibt als neutrales Querschnittsorgan im Direktorium und damit in der Verantwortung des Oberbürgermeisters. Nun muss sich noch ein neuer Chef finden, der das Archiv mit seinen etwa 40 Mitarbeitern leiten wird. Im Rathaus geht man davon aus, dass eine interne Besetzung nun sehr schnell gehen könnte.

Der langjährige Chef des Archivs, Michael Stephan, hätte zwar lieber auch die Geschichts- und Erinnerungsarbeit auf Dauer in seiner früheren Behörde gesehen, doch mit dem jetzt erzielten Ergebnis sieht er das Schlimmste abgewendet. Lieber "ein schlechter Kompromiss" als gar keiner, sagte er. Auch aus dem Archiv heraus, das sich offiziell nicht äußerte, ist Erleichterung zu spüren. Das sei nun schon in Ordnung, den Kernaufgaben könne man so weiter gut gerecht werden, hieß es nach dem Beschluss im Stadtrat.

Im Münchner Stadtarchiv in Schwabing sind auf 20 Regalkilometern Akten und Dokumente aufbewahrt, die ein möglichst objektives Bild der Stadtgeschichte liefern sollen. Neben dem gesetzlichen Auftrag, offizielle Materialien aufzubewahren und den Bürgern zugänglich zu machen, hatte das Archiv zuletzt auch einen starken Fokus auf die Geschichtsarbeit gelegt, die in Teilen auch im Kulturreferat, im Stadtmuseum und im NS-Dokuzentrum geleistet wird. Die Grünen wollten dafür ein eigenes Institut für Stadtgeschichte schaffen.

Diese Chance bot sich ihnen, weil die Suche nach einem Nachfolger für den Stadtarchivar Stephan im Februar 2020 scheiterte. Unter der damaligen Stadtregierung von CSU und SPD stellten sich zwar Bewerber vor, aber keiner wurde als geeignet angesehen. Im März änderten sich dann nach der Kommunalwahl die Mehrheitsverhältnisse in der Stadt. Die Grünen als stärkste Fraktion konnten ihre Idee zur Umorganisation des Stadtarchivs im Koalitionsvertrag festschreiben. Doch nach dem Widerstand aus Fachkreisen hatte sich die Koalition noch einmal beraten.

"Mit dem Kompromiss können wir gut leben", sagte Grünen-Fraktionschef Florian Roth. Ein großes neues Institut für Zeitgeschichte inklusive Stadtarchiv hätte zwar in der Geschichts- und Erinnerungsarbeit "die meisten Schnittstellen" beseitigt. Aber auch mit dem kleineren Institut, in das die Historiker des Stadtarchiv mit etwa fünf Stellen nun wechseln werden, könne den Bereich "weiter stärken". Auch SPD-Fraktions-Chefin Anne Hübner sprach von "einer guten Lösung". Diese sei ein Zeichen dafür, dass sich die Koalition die Fakten anschaue und dann pragmatische Entscheidungen treffe. Die CSU und auch die kleineren Oppositionsparteien lehnten die Neuorganisation ab.

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SZ vom 03.08.2021
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