Süddeutsche Zeitung

Münchner Spaziergang:Menschen, die auf Tische starren

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Ein bisschen mehr Normalität: Die Wirte der Stadt dürfen endlich wieder ihre Biergärten und Außenbereiche öffnen. Schon die Vorbereitungen zeigen, dass die Münchner darauf sehnsüchtig warten.

Kolumne von Philipp Crone

Die beiden schauen sehr lange hin. Dafür, dass es nur leere Tische zu sehen gibt. Aber was für welche: die Bierbänke am Chinesischen Turm. Akkurat auf Abstand gestellt. Das Pärchen steht da und die Sehnsucht der beiden wird beinahe sichtbar. Endlich wieder in einem Biergarten sitzen, nicht mehr nur auf Steinen oder Parkbänken, auf Grünstreifen oder Bürgersteigstufen. Sich nicht mehr nur geduldet fühlen da draußen, sondern endlich wieder erwünscht und sogar bedient. Am Samstag stellen die Wirte bereits ihre Freiluftgarnituren auf und wer durch die Stadt spaziert, sieht überall Menschen, die auf Tische starren.

Man muss ein wenig Acht geben mittlerweile, weil in der lange so leeren Innenstadt die offenbar exponentiell gewachsenen Jogginggruppen derart selbstverständlich über die Wege fräsen, dass man glauben könnte, auf den blauen Schildern seien keine weißen Fußgänger oder Radfahrer aufgezeichnet, sondern Rennmeuten. Aber das wird sich bald geben, wenn sich die Gruppen dauernd ihre Knie an den dicken Tüten der demnächst wieder in ihr angestammtes Habitat zurückkehrenden Shoppingprofis stoßen.

Im Hofgarten ist allerdings die Gefahr, von einer Boulekugel am Knie erwischt zu werden, deutlich höher oder vom harten Strahl der Reinigungsmaschine aus dem Hause Schumann, der seine Freiluftmöbel noch schnell VIP-tauglich aufpoliert. Auch hier bleiben die Passanten stehen, schauen zu. Genauso vorne bei den Kollegen des Tambosi, die ihre Gartenmöbel hin und herrücken. Wenn hinter der Mauer erst wieder die Kino-Reihen der Bar mit ihrem Blick auf die Feldherrenhalle genießbar sind, egal in welchem Abstand, dann ist das alte München zurück, ein bisschen zumindest. Auch beim Spatenhaus stehen die Tische bereit, und vor dem Franziskaner sitzen zwei junge Männer bereits Probe.

Das erste Getränk im Freien, bestellt im Sitzen, frisch eingeschenkt, im Glas, nicht in Plastik, es ist zum Zugreifen nah.

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Quelle:
SZ vom 18.05.2020
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