Süddeutsche Zeitung

Münchner Stadtrat:Neue Strategien für ein besseres Sicherheitsgefühl

Lesezeit: 3 min

Die Stadt will sich auf künftige Risiken vorbereiten. Die Pandemie hat gezeigt, dass ein sicheres Zusammenleben in der Großstadt nur in begrenztem Maße von der Polizei allein gewährleistet werden kann.

Von Julian Hans

Die Sicherheit in der Landeshauptstadt soll künftig stärker als gemeinsame Aufgabe von Politik, Verwaltung und Gesellschaft begriffen und nicht der Polizei allein überlassen werden. Ein Konzept dafür, was das konkret bedeutet, stellt Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle an diesem Dienstag dem Kreisverwaltungsausschuss des Stadtrats vor. Im Zentrum stehen Prävention und referatsübergreifende Zusammenarbeit.

Viele Bürgerinnen und Bürger sähen den Titel Münchens als sicherste Großstadt der Republik heute als Selbstverständlichkeit, heißt es in der Begründung für den "Strategieplan Sicherheit und Prävention". Derweil müssten immer größere Anstrengungen unternommen werden, um die Sicherheit, aber auch das subjektive Sicherheitsgefühl in der Stadt auch für die Zukunft zu gewährleisten. Dafür brauche es häufig nicht die "eine Maßnahme", sondern "ein Ineinandergreifen vieler kleiner Bausteine, die oftmals auf den ersten Blick nichts mit Sicherheit im engeren Sinne zu tun haben".

Vor einem Jahr noch hätte das Thema möglicherweise wie eine recht abstrakte Debatte unter Experten gewirkt. Die Pandemie aber hat zahlreiche Beispiele dafür geliefert, dass ein sicheres Zusammenleben in der Großstadt nur in begrenztem Maße von der Polizei gewährleistet werden kann. Das Virus löste eine ganze Kette von Reaktionen aus, die sich auf die Sicherheit der Bürger und auf ihr subjektives Sicherheitsempfinden auswirken. So mussten etwa Klubs, Bars und Fitnessstudios schließen, um die Infektionsgefahr einzudämmen. Mangels anderer Freizeitangebote trafen sich mehr Menschen im öffentlichen Raum, der Gärtnerplatz ist dafür das bekannteste Beispiel. Darunter wiederum hatten die Nachbar zu leiden. Gleichzeitig hatten Wohnsitzlose keine andere Wahl, als sich noch mehr als sonst auf Straßen und Plätzen aufzuhalten, wenn ihnen der Zutritt zu Einrichtungen verwehrt war.

Die veränderten Verhältnisse hätten einige Bürgerinnen und Bürger "manchmal an die Grenzen ihrer eigenen Toleranz" geführt, heißt es in dem Vortrag des Referenten. "Die Stadtverwaltung sieht sich gerade hier derzeit mit dem Problem konfrontiert, verschiedene Nutzungsinteressen zu befrieden und dieses Thema referats- bzw. behördenübergreifend zu lösen."

Ansätze dafür gab es schön früher, etwa durch den Kommunalen Außendienst des KVR und das Allparteiliche Konfliktmanagement "Akim" des Sozialreferats. Gleichwohl habe die Pandemie die Grenzen dieser Werkzeuge aufgezeigt, stellt der Kreisverwaltungsreferent in seinem Konzept fest.

Ein weiteres Beispiel sind Demonstrationen von Pandemie-Leugnern und anderen Gegnern der Corona-Maßnahmen. Einerseits seien politisches Engagement und freie Meinungsäußerung lebenswichtig für eine Demokratie. Andererseits sei die praktische Umsetzung dieser demokratischen Rechte in der Pandemie erschwert und mit einem hohen zusätzlichen Aufwand sowohl für die Veranstalter als auch für die Versammlungsbehörde und die Polizei verbunden - insbesondere, wenn Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich nicht an Auflagen halten und Extremisten die Unzufriedenheit in der Bevölkerung für ihren Kampf gegen die Demokratie ausnutzen.

Derweil hat die Verlegung der Arbeitsplätze aus dem Büro nach Hause deutlich gemacht, dass eine zuverlässige und sichere digitale Infrastruktur für die Stadt von existenzieller Bedeutung ist.

Solche komplexen Herausforderungen können besser bewältigt werden, wenn alle Referate der Stadt gemeinsam und koordiniert vorgehen. Aus diesem Grund hatte der Stadtrat bereits im November 2018 das KVR mit einer Neuausrichtung beauftragt: Statt einmal jährlich in einem Sicherheitsbericht nur den Istzustand zu referieren, sollte eine risikobasierte Sicherheitsplanung für die Zukunft erarbeitet werden. Unterstützung bekommt die Behörde bei der Erarbeitung eines Strategieplans "Kommunale Sicherheit und Prävention" von der Beratungsfirma EBP Schweiz und vom Lehrstuhl für Raumentwicklung an der Technischen Universität München.

Sie ziehen für die Sicherheit in Zukunft eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Faktoren in Betracht. Darunter die Bevölkerungsentwicklung, den sozialen Zusammenhalt, die Entwicklung der Wirtschaft, Klima und Mobilität, Demokratie und Bürgerbeteiligung, digitale Transformation, kommunale Finanzkraft, Gesundheit und Bildung aber auch Geschlechtergerechtigkeit und Kultur.

Im Kreisverwaltungsausschuss wird am Dienstag zunächst der Fahrplan vorgestellt. Wenn der Stadtrat das Konzept billigt, wird es konkret: Dann sollen aktuelle Sicherheitslage analysiert, künftige Risiken benannt und Handlungsempfehlungen ausgearbeitet werden. In die Ausarbeitung des Feinkonzepts waren laut KVR mehr als 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen städtischen Referaten bis auf das Personalreferat eingebunden. Darüber hinaus seien die Fachstelle für Demokratie, die Gleichstellungsstelle für Frauen und die Koordinierungsstelle zur Gleichstellung von LGBTI einbezogen worden. Und nicht zuletzt die Polizei. Denn ohne die geht es auch nicht.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2021
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