Süddeutsche Zeitung

Verkehrswende in München:"Je breiter der Radweg, desto sicherer"

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Vier Jahre nach dem Radentscheid-Beschluss des Stadtrats ziehen die Aktiven Zwischenbilanz. Vieles sei in Bewegung, aber wenig sei wirklich getan. Und auch über OB Reiter ärgern sie sich.

Von Bernd Kastner

Schatten und Licht gebe es auf Münchens Straßen beim Umsetzen des Radentscheids. An diesem Tag wollen die Rad-Aktiven mal nicht in den Schatten schauen. Sie wollen Lob verteilen, vier Jahre, nachdem der Stadtrat beschlossen hat, die Forderungen des Radentscheids umzusetzen. Also ein gutes Radwegenetz zu schaffen und den Altstadtring velofreundlich zu gestalten, wofür 160 000 Unterschriften gesammelt wurden. Von 65 Straßenabschnitten, deren Umbau der Stadtrat will, seien zwei fertig und zwei in Bau.

Julia Schnell ist im gelben T-Shirt mit dem Radentscheid-Logo auf den Marienplatz gekommen. "So müsste der Radweg überall sein": das habe ihr jüngster Sohn gesagt, als sie zum ersten Mal auf dem neuen Radweg in der Blumenstraße fuhren. "Da war er total aus dem Häuschen." Julia Schnell ist Mutter dreier Kinder, heute acht, neun und elf, die Familie wohne in Giesing und radle fast immer. "Durch die Stadt mit Kindern ist immer schwierig", sagt sie. Umso froher sei sie über jeden Radweg. Was sei es für eine Freude gewesen, als vor ein paar Jahren auf ihrem Weg in den Kindergarten in der Bahnunterführung der Werinherstraße ein Radweg markiert wurde. "Je breiter der Radweg, desto sicherer", sagt Julia Schnell. Ein Mädchen oder Bub mache schnell mal einen Schlenker, um einem Gullideckel auszuweichen. Das könne sehr gefährlich werden, wenn dicht daneben ein Auto oder gar Lastwagen überhole.

Dass etwas vorangehe in der Fahrradpolitik, sagt Julia Schnell, habe man in der Rosenheimer Straße erlebt. Sie erinnere sich noch gut an die Demonstrationen vor Jahren, um auf die Gefahren auf der Route zwischen Rosenheimer Platz und Orleansstraße hinzuweisen. Damals habe es von der Stadt geheißen: Kann man nichts machen. Dann hat man neu nachgedacht, und es ging doch. "Das war einfach großartig", sagt die Mutter.

Katharina Horn, Sprecherin des Radentscheids, sieht sich bestätigt: Es gebe auch viele Menschen, die von der Verkehrswende profitierten. Umso mehr ärgere sie sich über jüngste Äußerungen von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der den vom Stadtrat beschlossenen neuen Radweg in der Elisenstraße beim Hauptbahnhof, samt Verbesserung der Kreuzung beim Justizpalast und des Lenbachplatzes, deutlich kritisierte: "Plötzlich", sagt Katharina Horn, "werden Maßnahmen, die der Stadtrat beschlossen hat, als Luxus-Radwege dargestellt, oder jeder einzelne Parkplatz wird verteidigt, als ginge es um Leben und Tod." Wenn man den Radverkehrsanteil signifikant erhöhen und zudem Verkehrstote vermeiden wolle, "dann geht das nicht ohne mehr Platz für den Radverkehr, und damit ohne den ruhenden Autoverkehr einzuschränken."

Vor dem Rathaus stehend lobt Andreas Schön, Vorsitzender des Fahrradvereins ADFC, die Stadt: Er erlebe hoch motivierte Mitarbeitende in der Verwaltung und gut eingespielte Prozesse. Bei aller Freude der Radentscheid-Aktiven am Licht in der Verkehrspolitik: Die Zwischenbilanz zum Radentscheid wirft dann doch noch so manchen Schatten. Acht der 65 vom Stadtrat gewünschten Projekte wurden konkret beschlossen, weitere acht seien öffentlich vorgestellt. 20 aber seien noch gar nicht angepackt von der Verwaltung. Andreas Schön nennt die sieben Etappen eines Radwegs in der Verwaltung "Meilensteine". Das sei wörtlich zu verstehen: "Große und schwere Brocken".

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