Süddeutsche Zeitung

Prozess:Tödliche Umklammerung

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Eine Frau greift ihren Freund mit einer Saftflasche an, während der schläft. Der Mann wehrt sich und tötet die Frau. Der 56-Jährige sagt, vom Morgen der Tat habe er ein "aktives und ein passives Bewusstsein".

Von Susi Wimmer

Elisabeth Ehrl ist Richterin der ersten Schwurgerichtskammer am Landgericht München I und man darf getrost annehmen, dass sie im Richteramt schon einiges erlebt hat. Die stundenlangen, akribischen und in wichtigen Momenten vagen Ausführungen des Angeklagten Hans H. zum Tod seiner Freundin stellen aber auch sie vor Rätsel. Denn: Er habe, was den Morgen der Tat anbelangt, ein "aktives und ein passives Bewusstsein", behauptet der 56-Jährige. "So eine Unterscheidung ist mir neu", sagt Ehrl. In welchem Zustand auch immer - fest steht, dass die 49-jährige Rufina I. nach einer Auseinandersetzung im Mai 2020 an Gewalteinwirkungen gegen den Hals starb. Und dass Hans H. wegen Totschlags angeklagt ist.

"Er ist Naturwissenschaftler, er sucht nach Erklärungen", will Verteidiger Andreas von Máriássy die Ausführungen seines Mandanten erklären. Geäußert hat sich Hans H. zu dem Zeitpunkt schon drei Stunden lang. Relativ nüchtern, "ich bin ein rationaler Mensch", erzählt er, wie er Anfang 2018 die aus Nigeria stammende Frau in einem Café kennenlernte, ihr Sohn sei damals in die erste Klasse gegangen. Man habe sich angefreundet, die beiden seien oft in seiner Wohnung in Bogenhausen gewesen. Es sei "ein schönes Gefühl" gewesen mit dem Kind, "er hätte die Rolle als mein Sohn haben können". Er habe die ganze Geschichte aufgeschrieben unter dem Titel "Mein Leben mit Rufina", 140 Seiten. Sie habe gewollt, dass er sie heirate und ihren Sohn adoptiere. Er hätte sie aus Liebe geheiratet, nicht wegen des Bleiberechts. "Ich war eher bei Ja als bei Nein. Aber es war kein hundertprozentiges Ja."

Als er von Rufina I.s Job im Kindergarten erzählt, wo sie aufgeblüht sei, nimmt er seine Brille ab und weint kurz. Er berichtet von ihren "Krisen", als sie um das Aufenthaltsrecht ihres Sohnes fürchtete. Mit Ausbruch der Pandemie sei sie zurück ins Asylbewerberheim. Am Tag vor der Tat habe sie ihn noch gefragt, ob er eine andere Frau habe, was er verneinte. Laut Staatsanwaltschaft hatte Rufina I. an jenem Tag auch einen Termin beim Ausländeramt, wo es um Formalien ging. Und sie habe "eine wahnhafte Störung" entwickelt, was die Duldung ihres Sohnes anbelange. Sie soll Hans H. in die mutmaßliche Verschwörung gegen sie mit einbezogen haben.

Dann kam der 19. Mai: Laut Anklage betrat Rufina I. mit ihrem Schlüssel die Wohnung des Anklagten, nahm eine Ein-Liter-Saftflasche - und schlug sie dem schlafenden H. auf den Kopf. Dann seien noch zwei Schläge gefolgt, "ich dachte, jetzt sterbe ich", erzählt H. Er habe kaum etwas gesehen, könne sich nur an einzelne Szenen erinnern. Ob er zwischen diesen Szenen eine "aktive Steuerung" hatte oder reflexartig gehandelt habe, könne er nicht sagen. Er wisse, dass er sie in den Schwitzkasten genommen hat. Später habe er auf dem Boden gelegen und sie mit einer Beinschere umklammert. Dann habe er auf ihr gelegen, "plötzlich hab ich alles wieder klar gesehen". Sein linker Arm habe auf ihren Hals gedrückt. "Sie hat schnell geatmet und dann ein paarmal geröchelt." Hätte er alles steuern können, "wäre das nicht passiert". Er habe sich aufgerichtet, die Hände gewaschen und die 112 gewählt. Der Prozess dauert an.

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SZ vom 04.05.2021
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