Süddeutsche Zeitung

Pfarrgemeinderäte in München:Wer will sich überhaupt noch für die Kirche engagieren?

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Es wird immer schwieriger, Ehrenamtliche zu finden - auch für die Wahl der neuen Pfarrgemeinderäte in München. Das liegt weniger am Missbrauchsthema als an der knappen freien Zeit - und so manchem Pfarrer.

Von Andrea Schlaier

Richard Weiser ist 65 Jahre alt und seit einem Jahr in Rente. Er hat sich noch einmal erbarmt. "Einmal mach ich's jetzt noch, dann nicht mehr." Weiser ist damit der vierte von vier. Mehr Bewerber haben sich beim besten Willen nicht gefunden für die Wahl zum Pfarrgemeinderat in St. Johannes Evangelist am Lerchenauer See. Am 20. März wird die Laienvertretung in allen katholischen Gemeinden Bayerns für vier Jahre gewählt.

Von den 115 Pfarreien, die es im Stadtgebiet München gibt, gehört St. Johannes Evangelist am Lerchenauer See zu den jüngeren und inzwischen auch zu den kleineren. 1968 wurde das Gotteshaus mit seiner strengen funktionalen Architektur eingeweiht und fügte sich gestalterisch bestens ein in die Nachbarschaft aus baufrischen Wohnblocks, die für Zehntausend Menschen kurz zuvor auf die Felder im Norden der Stadt gestellt worden waren. "1968 waren es 7500 Gemeindemitglieder, heute sind es noch knapp 1800", zählt Weiser vor. Dass man sich hier mit der Kandidatensuche für den Pfarrgemeinderat schwer tut, liegt nicht an der Erschütterung, die das im Januar veröffentlichte Missbrauchsgutachten für die Erzdiözese München und Freising bei den Gläubigen ausgelöst hat.

In St. Johannes Evangelist hätte diese Erschütterung besonders stark ausfallen können. Hier war Anfang der Achtzigerjahre die erste Einsatzstelle des pädophilen Priesters Peter H. in der Erzdiözese, dem die Gutachter einen Sonderband von 370 Seiten widmeten und der praktisch über Nacht aus der Gemeinde verschwunden war, nachdem es Gerüchte gegeben hatte, da sei "etwas mit Kindern gewesen". Es gebe nur noch wenige Leute, die damals da waren, sagt Weiser. "Ich bin selbst aufgeschreckt, dass das bei uns war, das wusste ich vorher nicht."

Die Veröffentlichung sei gleichwohl der Grund gewesen, "weshalb wir auf unserer Homepage die Präventionsbeauftragten so deutlich präsentiert haben". Bei der Kandidatensuche für den Pfarrgemeinderat habe das Gutachten aber überhaupt keine Rolle gespielt. Die sei vielmehr deshalb so mühsam, weil "viele aus dem Viertel weggezogen sind und hier jetzt viele Andersgläubige mit Migrationshintergrund leben". Außerdem, so der 65-Jährige, hätten viele gesagt: Ich helfe gern bei einem einzelnen Projekt, will mich aber nicht für vier Jahre an ein Gremium binden. Die beruflichen Anforderungen seien inzwischen so hoch und im teuren München oft beide Partner berufstätig, dass weniger Zeit fürs Ehrenamt bleibt.

Diese Erfahrung hat auch Hiltrud Schönheit gemacht, Vorsitzende des Katholikenrats der Region München und seit acht Jahren Pfarrgemeinderätin in St. Leonhard im Pfarrverband Menzing. "Es ist nicht erkennbar, dass das Missbrauchsgutachen bei der Kandidatensuche eine Rolle gespielt hat." Denn die Leute, um die es hier gehe, hätten sowieso längst mitverfolgt, "was da kirchenpolitisch abgegangen ist, und dann sind die in dem Moment auch erschüttert und geschockt, aber im Grunde war's auch nicht die ganz große Überraschung".

Seit einiger Zeit zeichne sich aber schon der Trend ab, dass es immer weniger Ehrenamtliche gebe, die bereit seien, sich über einen längeren Zeitraum zu binden. Da unterscheide sich kirchliche Arbeit nicht von der in Vereinen oder der Politik. Was Schönheit aber auffällt: Dass sich die Suche nach Engagierten besonders schwer gestaltet, wenn es zwischen Gemeinde und Pfarrer knirscht. "Es gab in der letzten Wahlperiode Pfarreien, die aus Mangel an Kandidaten gar keinen Pfarrgemeinderat hatten. Ganz wenige. Aber die gab es." Die Nachbarn von Maria Schutz in Pasing zum Beispiel. "Doch die haben seit einiger Zeit einen neuen Pfarrer, der sehr gut mit den Leuten zurechtkommt und schwuppdiwupp, gibt's einen Haufen Kandidaten."

Schönheits eigener Pfarrverband mit 12 700 Christen liegt an der vergleichsweise wohlhabenden Schnittstelle von Obermenzing und Pasing, "eher homogen", Tendenz Speckgürtel. "Ein gutes Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen", sagt die 61-jährige Juristin. Für den Pfarrverbandsitz in der Gemeinde Leiden Christi kommen auf 15 Plätze 16 Bewerber und Bewerberinnen. St. Leonhard hinkt etwas hinterher mit acht Bewerbern für neun Plätze.

Im urbanen Pfarrverband Altschwabing, zu dem St. Ursula und St. Sylvester gehören, stehen sie dagegen Schlange. "Von 2018 bis 2022 haben wir sogar mit erweiterten Pfarrgemeinderäten gearbeitet, zwölf für St. Sylvester und 14 für St. Ursula, etwa doppelt so viele wie Plätze zur Verfügung stehen ", sagt Benedikt Breil, 22, Pfarrgemeinderat in St. Ursula und Vorstand im Bund der Deutschen Katholischen Jugend in der Region München. "Spannenderweise sind viele zwischen 20 und 40 Jahren."

Er gehört zur Jetzt-erst-Recht-Fraktion genau wie Julius Wiesner. Der 33-Jährige kandidiert zum ersten Mal. St. Ursula hat sich der Unternehmensberater nach einer Tour durch Münchner Pfarreien ausgesucht, weil die Gemeinde "liberal und weltoffen ist, klar Haltung bezieht und sich gegen Missbrauch und Misstände positioniert. Von der Kanzel herunter und in der Gemeinde." Wiesner wohnt gar nicht im Sprengel, es ist aber auf Antrag möglich, auch in einem anderen Bezirk zu kandidieren oder zu wählen.

Befremdet und mit kritischen Nachfragen hätten einige aus seinem Umfeld auf seine Kandidatur in diesen Zeiten reagiert. "Ich kann das nachvollziehen und das jüngste Gutachten ist vermutlich auch nicht das Ende der Fahnenstange." Aber er sehe gerade jetzt eine Chance für Veränderung. Befördert auch "durch massiv wegbrechende Einnahmen bei der Kirche in den nächsten Jahren". Dadurch öffne sich ein Fenster für Neugestaltung, begleitet von der Reformbewegung des Synodalen Weges. "Das ist meine Hoffnung."

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