Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest:Einmal Marilyn sein. Im Dirndl

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Vor 13 Jahren arbeitete unsere Autorin als Wiesn-Fotografin. Und heute? Findet sie die Vorstellung absurd, dass hier irgendjemand, mag er noch so betrunken sein, ein Passepartout-Foto machen lässt. Bis sie zu einem Stand an der Schaustellerstraße kommt. 

Von Carolin Gasteiger

Der kräftige Mann mit Gamsbart will nicht. "Bitte ned, i hob Familie." Kein Foto. Es ist Gay Sunday, das Schwulen-Event auf dem Oktoberfest. Daheim soll keiner von seinem Besuch wissen. Jens, Boxe 6, posiert dagegen gerne. Ein Foto? Klar. Das war 2006, als ich als Fotografin auf dem Oktoberfest gearbeitet habe. Einsatzort: die Bräurosl. Zustande gekommen durch Zufall. Ich wollte in möglichst kurzer Zeit Geld für einen Auslandsaufenthalt verdienen.

Wenn ich 13 Jahre später durch die Reihen der Bräurosl laufe, kann ich mir kaum vorstellen, dass heute jemand ein Foto als Andenken kaufen will. Die meisten posieren mit ihren Handys für Selfies, einige schalten ihre Freunde per Facetime ins Zelt. Zu absurd ist die Vorstellung, dass hier irgendjemand, und mag er noch so betrunken sein, ein Passepartout-Foto machen lässt. Passepartout, das sind diese gerahmten Dinger, Sie erinnern sich?

Das Terrain im Bierzelt war damals klar aufgeteilt - ein paar der ausschließlich weiblichen Fotografinnen arbeiten auf der Galerie, ein paar im Mittelschiff, die anderen im hinteren Bereich. Die Kameras waren keine High-End-Modelle, eher so Durchschnitts-Apparate, und vor allem leicht zu bedienen. Ging es doch darum, schnell zu arbeiten: Motiv identifizieren, freundlich anfragen, abdrücken und ab ins Kabuff zu Marek.

Der Student saß in einem kleinen Raum ohne Fenster. Dort zog er die Bilder von unseren Speicherkarten auf einen Rechner und druckte sie aus. Schnell das Schönste ausgesucht, ins Passepartout geschoben und wieder los. Wer die fotografierten Leute nicht wiederfand, war verloren. Oder verdiente zumindest keine acht Euro. So viel kosteten die Andenken.

In Augustiner, der Ochsenbraterei und im Hofbräu-Zelt wird heute noch fotografiert. In der Bräurosl nicht mehr. Das zuständige Fotostudio hatte die Lust verloren. "Die wollten nicht mehr", heißt es im Zelt. Vor einigen Jahren habe man die Zusammenarbeit beendet. Mareks Kabuff am nordöstlichen Zeltausgang ist einem Ausschank für alkoholfreie Getränke gewichen, Tafelwasser vier Euro, Limo fünf.

Auch wenn damals Handybilder noch nicht üblich waren, Digitalkameras hatten die meisten schon. Viel Lachen, viel Häme begegnet einem, wenn man versuchte, ein Foto anzupreisen (und eigentlich selbst nie dafür bezahlen würde). Das ewige "Na, bitte koane Fotos" und das stolze Hochhalten der eigenen Digitalkamera, deprimierte. Am Ende des ersten Tages wollte ich hinschmeißen und ließ mich nur mit Mühe überreden, es nochmal zu versuchen.

In der Bräurosl findet traditionell an Tag zwei der Gay Sunday statt. Das war auch vor 13 Jahren schon so - und vielleicht der Grund, warum ich den Job dann doch durchgezogen habe. Hier waren die Besucher bis auf wenige Ausnahmen aufgeschlossener als die vom ersten Tag. Und sie gaben auch noch großzügig Trinkgeld.

Einer von ihnen war Jens, mein bester Kunde. Eine Glatze hatte er und kaufte auch am dritten und vierten Besuch noch begeistert Fotos. 2019 ist Jens nicht mehr da. An seinem Tisch, oder da, wo ich ihn vermute, sitzt ein Mann mit moosgrünem Hut und Schnurrbart. Er lächelt nicht. Auch der nette Kellner aus Jens' Box fehlt, der zwischendrin immer gern mit mir plauderte und am letzten Abend erzählte, er brauche jetzt Erholung. In Urlaub wolle er fahren, zum Tauchen nach Ägypten.

An diesem Donnerstagabend 2019, das Zelt ist voll und grölt "Hulapalu", sind kaum Souvenirverkäufer zu entdecken. "Geht schon, danke", ein Kellner eilt vor der Reservierungswand an mir vorbei - Jens steht nicht mehr drauf. Damals kannte ich noch den Breznverkäufer (keine Konkurrenz), den Ordner (die Rettung, als ich vor einer Schlägerei entkommen musste) und die Dame, die mich an der Toilettenschlange vorbeilotste.

War der Job damals schon technologisch überholt, ist er inzwischen undenkbar. Könnte man meinen. Bis ich das Zelt verlasse und um die Ecke in die Schaustellerstraße gehe. "Be Marilyn" steht da auf einem Stand. Auf einem Schreibtisch in der Bude steht eine Epson-Drucker, daneben ein Mann am Computer. Junge Mädchen im Mini-Dirndl und amerikanischem Akzent stehen auf einem Gitter, durch das von unten Luft hochgepumpt wird. Einmal Marilyn sein. Im Dirndl. Luft kommt, Röcke hoch. Am Familientag und wenn die Reservierungen wechseln, dann laufe es richtig gut, sagt eine Mitarbeiterin. Und der Preis? Neun Euro.

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