Süddeutsche Zeitung

Wirtefamilie zieht sich von Oktoberfest zurück:"Da geht ein großes Stück Wiesn-Tradition"

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Die Wirtefamilie Heide gibt das legendäre Bräurosl-Zelt ab. Nach der coronabedingten Absage des Oktoberfests sei das finanzielle Risiko kaum abzuschätzen.

Von Franz Kotteder

Obwohl das Oktoberfest in diesem Jahr gar nicht stattfindet, hat sie schon ihr erstes Corona-Opfer zu verzeichnen: Die Familie Heide, seit 83 Jahren und in vierter Generation Festwirte in der Bräurosl, zieht sich von der Wiesn zurück. Eigentlich hätte sie in diesem Jahr ein neugebautes Festzelt übernehmen sollen, die Fundamente dafür wurden bereits im April auf der Theresienwiese gesetzt.

Dann aber kam die Pandemie und die Absage der Wiesn. Wie es im kommenden Jahr aussehen wird, weiß natürlich niemand, das finanzielle Risiko ist schwer überschaubar, und so entschied sich die Familie dafür, sich ganz auf den Betrieb ihrer Großgaststätte Heide Volm, direkt am Bahnhof Planegg gelegen, zu konzentrieren. "Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht", sagte Wirt Georg Heide am Montagmittag sichtlich bewegt bei der Pressekonferenz in Planegg, "aber wir haben sie als Familie gemeinsam getroffen".

Und natürlich in Absprache mit der Brauerei Paulaner Hacker-Pschorr, der das Bräurosl-Zelt gehört und die sich nun einen neuen Festwirt suchen muss. Brauerei-Chef Andreas Steinfatt meldete sich aus dem Urlaub per Videobotschaft und sprach von einem "schweren Schock, aber wir akzeptieren diese Entscheidung natürlich". Die Heides hätten ihm auch "persönlich viele schöne Momente beschert", vom Anzapfen des ersten Fasses über das Platzkonzert vor der Bavaria bis zum Abschiedsabend im Zelt: "Eigentlich herrscht Sprachlosigkeit", so Steinfatt.

Die Entscheidung kam für nahezu alle, die nicht zur Familie gehörten, überraschend. Am Sonntagabend teilten die Heides sie ihrer Belegschaft bei einer Betriebsversammlung mit. Georg Heide und seine Frau Renate hatten die Geschäfte bereits vor kurzem ganz an ihre Tochter Daniela und den Schwiegersohn Pascal übergeben.

Die Vorbereitungen für die Übernahme des neuen, moderneren Zelts liefen aber bereits, bevor Corona kam. "Da steht vieles an, was der Gast erst einmal nicht sieht", so Georg Heide, "die Bedienungen brauchen neue Westen und Dirndl, die farblich zum Zelt passen, die Küchenausstattung muss man besorgen, neue Tischdecken müssen bestellt werden. Das war alles schon geplant." Nach der immerhin rechtzeitigen Absage durch Stadt und Land - "da konnte man die meisten Ausgaben noch stoppen", so Heide - blieb dann aber unklar, wie es 2021 weitergehen konnte. Das finanzielle Risiko würde wohl auch dann keine Versicherung tragen wollen, so Heide, "und was wäre, wenn ein Festzelt geschlossen werden muss, wegen eines Infektionsfalls, auf den wir möglicherweise selber überhaupt keinen Einfluss haben?"

So beschloss die Familie laut Junior-Chefin Daniela Heide schließlich schweren Herzens, sich von der Wiesn zu verabschieden. Man wolle sich nun ganz auf das Stammhaus, die seit 1931 im Familienbesitz befindliche Großgaststätte Heide Volm in Planegg, konzentrieren. Es gebe viel zu tun in diesen Umbruchzeiten, ein gehobenes Wirtshaus im Stil der Zeit mit Biergarten soll es werden. Der große Saal, einst eine Faschingshochburg, wird abgerissen und durch ein Wohn- und Geschäftshaus ersetzt. "Man kann sagen: Wir wollen uns neu aufstellen und auch ein bissl gesundschrumpfen", sagt Daniela Heide. Das sei neben dem Oktoberfest schwer machbar. "Mit der Wiesn sind wir als Wirte doch drei Monate im Jahr ständig beschäftigt", so Heide, auch wenn man ohnehin bereits zehn Leute angestellt habe, die sich nur um das Oktoberfest kümmerten.

Die Kollegen der anderen großen Zelte zeigten sich überrascht vom Rückzug der Heides. Wirtesprecher Peter Inselkammer findet es "sehr bedauerlich, dass die Heides sich so entschieden haben", und Wiggerl Hagn, der noch länger Wiesnwirt war als Heide, äußerte einerseits Verständnis, "weil man als Wiesnwirt von der Stadt ja jeweils nur für ein Jahr die Zusage hat. Auf der anderen Seite tut es mir sehr weh. Da geht ein großes Stück Wiesn-Tradition."

Der freiwillige Rückzug eines Festwirts ist ungewöhnlich, den letzten in einem großen Zelt gab es 2002 im Winzerer Fähndl. Dort ging Willi Kreitmair in den Ruhestand, Sohn und Tochter hatten mit der Gastronomie nichts am Hut. Ebenso freiwillig war der Abschied von Werner und Eva Kasper 2016 beim kleinen Wiesnzelt der Hühner- und Entenbraterei Wildmoser.

Dafür könnte nun aber einer aus der Riege der kleinen Wiesnwirte aufsteigen: Lorenz Stiftl, Wirt des Spöckmeiers und des Hackerhauses in der Innenstadt. In der städtischen Punktewertung bei der Bewerbung für ein großes Zelt liegt er seit Jahren auf dem ersten Nachrückerplatz, und für die Brauerei Hacker-Pschorr ist er einer der wichtigeren Wirte in der Stadt. Kommt er zum Zuge, freut sich womöglich der nächste auf der Liste: Auch Alfons Schuhbeck hat seit vielen Jahren Ambitionen auf ein Wiesnzelt und könnte dann den Platz von Stiftls kleinem Zelt übernehmen. Die Brauerei will laut Andreas Steinfatt "erst in einigen Wochen" entscheiden.

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