Süddeutsche Zeitung

Münchner Momente:Der Run auf die Neun-Euro-Tickets

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Die Fahrkarte ist erst vom 1. Juni an gültig, trotzdem meldet die MVG am Erstverkaufstag 15 500 verkaufte Tickets. Haben sich die Menschen mittlerweile so an das Hamstern gewöhnt, dass sie immer sofort zuschlagen, sobald irgendetwas verfügbar ist?

Glosse von Stephan Handel

Nur mal angenommen, der Supermarkt ums Eck würde verkünden, dass es nur mehr diese Woche Lyoner Wurst gebe, dann aber nie mehr. Dann wäre es doch wohl vernünftig, jetzt noch möglichst viel davon zu kaufen, denn irgendwo muss der Wurstsalat ja herkommen, wenn die Regensburger aus sind, ja? Würde aber der gleiche Supermarkt melden, der Ring Lyoner koste für die nächsten drei Monate nur zwei Euro statt 3,99 - wäre es dann notwendig, jetzt schon zu horten, den Kühlschrank und den Tiefkühler zu füllen, wo doch die Wurst garantiert ein Vierteljahr zum niedrigen Preis zu haben ist, und da bei just-in-time-Käufen sogar in ausgezeichnet frischer Qualität?

In München und anderswo hat am Montag der Verkauf des Neun-Euro-Tickets begonnen. Mit ihm soll jenen Menschen geholfen werden, die kein Auto haben oder nicht so verrückt sind, mit ihm in die Innenstadt zu fahren - was den einen der Tankrabatt, ist den anderen das Neun-Euro-Ticket. Nun ist es so, dass das Ticket zwar seit Montag verkauft wird. Gültig ist es aber erst vom 1. Juni an, und dann drei Monate. Das bedeutet also: Es wären noch locker eineinhalb Wochen Zeit gewesen, um, wenn man schon mal vorbeikommt, zum Fahrkartenautomaten oder zum Schalter zu gehen. Aber was war? Die MVG meldet am Erstverkaufstag 15 500 Kunden, beim MVV wurden "in den ersten Minuten" 600 Tickets verkauft.

Was treibt die Menschen? Fürchten sie, es wäre am Ende kein Ticket mehr übrig für sie? Dass der freundliche Service-Mitarbeiter mittags schon ein Schild raushängt: "Neun-Euro-Ticket ausverkauft. Nächsten Monat wieder"? Haben sie sich mittlerweile so an das Hamstern gewöhnt - zuerst Klopapier, dann Benzin, jetzt Mehl -, dass sie immer sofort zuschlagen, sobald irgendetwas verfügbar ist?

Gut, es könnte natürlich sein, dass sie Angst vor Söder haben, der Ministerpräsident hat ja schon gedroht, dass Bayern nicht mitmache bei der Billig-Tram. Aber auch dann wäre der Praecox-Kauf nicht unbedingt die rationalste Handlungsweise. Man weiß es nicht, man wird es auch nie wissen, man hofft nur eins: Dass bitte nie ein Supermarkt Lyoner Wurst zum Dauertiefpreis anbietet.

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