Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:"Seids iatz Vegetarier worn?"

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Fleischesser sind böse, alle anderen moralinsaure Spaßverderber: Am Esstisch ist ein Kampf entbrannt, wüste Tiraden ergießen sich über den jeweiligen Feind. Auf Messer und Gabel sollte man da besser verzichten.

Glosse von Wolfgang Görl

Neulich saßen die Eheleute Oberdorfer, wohnhaft im Chiemgau, mit einem befreundeten Münchner Paar im Wirtshaus. Die Oberdorfers bestellten Schweinsbraten und Braumeistergulasch, während die Dame aus der Stadt einen Hirtensalat wählte und ihr Gatte Spinatspätzle. "Seids iatz Vegetarier worn?", wollte der Oberdorfer wissen. Seine Stimme klang besorgt, ein diskret spöttischer Unterton schwang aber auch mit. Nein, sagten die Münchner, aber sie äßen jetzt immer weniger Fleisch, und wenn, dann Bio. Es sei ja eine Schande, wie die Tiere in den Mastanstalten gequält würden.

Die Chiemgauer machten daraufhin ein Gesicht, als wäre ihnen der Geist Mahatma Gandhis erschienen, und hätte der Oberdorfer gerade einen Kartoffelknödel im Mund gehabt, wäre er vor Schreck daran erstickt. Der Rest des Abends ist schnell erzählt: Die Oberdorfers beschimpften ihre Freunde, die jetzt keine mehr waren, als "Grasfresser" und "vegane Spinner", das Paar aus München konterte mit "Tiermörder" und "blutgierige Sadisten". Die Rechnung zahlte man getrennt.

Okay, die Szene ist erfunden. Aber sie könnte sich ereignet haben. Ja, wahrscheinlich hat sie sich sogar ereignet, nur halten die Beteiligten den Vorfall geheim. Egal, inzwischen wissen selbst bildungsferne Kreise bis runter zum Betriebswirtschaftler, dass Fleischesser und Vegetarier/Veganer sich so feindselig gegenüberstehen wie Katholiken und Protestanten während des Dreißigjährigen Kriegs.

Man braucht nur ein wenig im Internet zu surfen, und schon hat man eine unerschöpfliche Melange aus Hass und Ressentiments, die sich in wüsten Tiraden über den jeweiligen Feind ergießt. Der Fleischesser ist demnach ein gewissenloser Egomane, dem es vollkommen schnuppe ist, wenn für seine Fleischeslust Tiere gequält und Regenwälder abgeholzt werden. Kurzum: Der Fleischesser ist böse. Der Vegetarier wiederum ist ein freudloser Moralist, der sich für etwas Besseres hält, und der mit der ewigen Körnerfresserei seine Gesundheit und die Kochkunst ruiniert. Fazit: Der Vegetarier ist ein moralinsaurer Spaßverderber.

Kürzlich twitterte der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger an die Grünen-Politikerin Renate Künast: "Wenn Sie anstatt der Kühe das Gras der Almwiesen essen wollen, Frau Künast, wohl bekomms!" Gut, so spricht er eben, der Aiwanger. Nicht ohne Grund wird der Mann gerühmt, keine Gelegenheit zu verpassen, etwas Dummes zu äußern. Aber auch sonst verläuft die Debatte auf beeindruckend unterirdischem Niveau. Auffallend ist, dass die Kombattanten, Fleischesser ebenso wie Vegetarier, den schlichten Verzehr einer Mahlzeit als weltanschauliche Manifestation zelebrieren. Da gibt es Männer, die ein nahezu religiöses Bekenntnis zum Schweinsbraten ablegen und jeden Bissen als mutigen Akt des Widerstands gegen den Tugendterror der Veganer feiern. Und über die kulturelle Legitimität einer veganen Weißwurst wird gestritten, als stünde die Existenz der Menschheit auf dem Spiel.

Der Esstisch ist mittlerweile ein gefährlicher Ort. Messer und Gabel sollte man dort keinesfalls mehr auslegen.

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