Süddeutsche Zeitung

Legenden-Derby im Olympiastadion:"Nur für zehn Minuten Luft"

Lesezeit: 2 min

Zum 50. Geburtstag des weltberühmten Stadions liefern sich die Um-die-50-Jährigen des TSV 1860 München und des FC Bayern einen denkwürdigen Schlagabtausch.

Von Gerhard Fischer

Am 18. August 2001 zeigt das ZDF-Sportstudio das Spiel Werder Bremen gegen 1860 München. Als Löwen-Trainer Werner Lorant ins Bild kommt, sagt der Reporter: "Die Halsschlagader pulsiert, der Körper rotiert, das Adrenalin fließt." Nach dem Spiel sitzt Lorant im Sportstudio. Trotzig sagt er auf die kritischen Fragen des Moderators, dass er trotz des schwachen Bundesliga-Starts "einen sicheren Arbeitsplatz" habe. Er werde "noch viele Jahre bei 1860 sein". Am 18. Oktober 2001 verlieren die Löwen gegen den FC Bayern - und Lorant fliegt raus.

21 Jahre später darf er wieder ein Derby coachen, das Spiel der sogenannten Legenden im Olympiastadion. Lorant ist 73 Jahre alt, seine Igelfrisur ist weiß geworden, und er steht endlich wieder im Mittelpunkt. Bei der Players Night am Samstagabend drückt ihm Bayern-Spieler Giovane Elber ein Bussi an die Schläfe, das Foto verbreitet sich so schnell wie Lorants Gesichtszüge entgleisen, vor Freude sicherlich. Elber hat übrigens am Montag im Kicker gesagt, dass seine Fitness ausbaufähig sei. Der Löwe Horst Heldt hat sich ähnlich geäußert - er habe "nur für zehn Minuten Luft". Wie gut, dass die Trainer fliegend wechseln dürfen.

Dabei sehen fast alle noch passabel aus, die im Durchschnitt 50-Jährigen, die sich am Sonntag vor 25 000 Zuschauern auf dem Rasen tummeln. Einige Haare sind grau geworden, das schon, aber die meisten Bäuche kaum dicker. Sascha Mölders ist der einzige, der noch aktiv ist, aber manche meinen, er sehe mit 37 schon aus wie ein Legendenspieler (man darf ihn wohl auf den Arm nehmen, denn er tut das selbst mit seiner Kollektion "Die Wampe von Giesing").

Bei den Bayern, die von Stefan Effenberg, Raimond Aumann und dem früheren Co-Trainer von Ottmar Hitzfeld, Michael Henke, gecoacht werden, spielen neben Elber mit - unter anderem - Claudio Pizarro, Michael Tarnat, Thomas Linke und Hansi Pflügler. Die Löwen haben viele Spieler aus der Lorant-Ära (1992 bis 2001 nach Christus) aufgeboten, etwa Thomas Riedl, der beim Derbysieg 1999 das einzige Tor geschossen hat, die Flügel-Zwillinge Cerny & Heldt, Gerald Vanenburg, Marco Kurz, Daniel Bierofka und den Herzenslöwen Michael Hofmann im Tor.

Und Benny Lauth, der vor dem Spiel dem emeritierten Stadionsprecher Stefan Schneider bestätigt, dass das 50 Jahre alte Olympiastadion an Anziehungskraft und Ausstrahlung nichts verloren hat: "Ich war hier Zuschauer, Balljunge und Spieler - der Weg vom Bus ins Stadion war heute etwas ganz Besonderes." Aus den Lautsprechern klingt danach: "Football is coming home." 1860 und Bayern waren ja früher im Olympiastadion zu Hause.

Und sportlich? Sie sind langsamer geworden, die alten Recken, und ihre Bewegungen eckiger, aber der Ball gehorcht ihnen noch, natürlich. In der vierten Minute flankt Ivica Olic zur Mitte und Elber drückt diesmal kein Bussi auf Trainer-Schläfen, sondern den Ball ins Tor. Auf der Tribüne diskutiert man derweil die Figuren der Bayern-Verteidiger, wobei Daniel Van Buyten sehr gut und Samuel Kuffour weniger gut weg kommt.

Überhaupt: die Zuschauer. Sie singen, sie gehen mit, und sie honorieren den Einsatz der Spieler, auch wenn denen nicht alles gelingt, wie Bierofka bei seiner Flugkopfball-Parodie neben das Tor. Mölders und Stefan Reisinger schießen 1860 in Führung, und das halbe Stadion erhebt sich, denn die Blauen singen "Steht auf, wenn ihr Löwen seid!"

Danach gleicht Torwart Butt vor den Augen des erstaunlich ruhig coachenden Lorant per Elfer aus, und kurz vor der Halbzeit lässt sich Hofmann von einem Heber aus 45 Metern überraschen; der freche Schütze war Zvjezdan Misimovic. Dann schickt Stefan Lehmann, der Bayern-Stadionsprecher, die Spieler "ins Sauerstoffzelt", vulgo: zum Pausentee.

Nach der Pause treffen der flotte Mölders (2), zweimal Lauth (einmal sogar mit einem Heber aus halber Misimovic-Entfernung), Paulo Sergio, Pizarro, Witeczek und Olic (2) zum 8:6-Endstand für die Bayern, und dann ist das heitere Klassentreffen zum Geburtstag des Olympiastadions wieder beendet.

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