Süddeutsche Zeitung

Münchner Kammerspiele:Die Götter, die wir riefen

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Regisseur Emre Akal inszeniert mit seinem neuen Stück "Göttersimulation" digitale Utopien. Mit Jugendlichen - und mit seinem Vater.

Von Magdalena Zumbusch

Emre Akal treibt etwas um, das er als Überforderung unserer ganzen Gesellschaft wahrnimmt. "Wir sind im digitalen Zeitalter angekommen. Und kommen nicht mit", sagt der Münchner Autor und Regisseur beim Gespräch in den Kammerspielen. Nach "Hotel Pink Lulu" und "Wood Wide Web" kommt jetzt der vorletzte, dritte Teil seiner Quadrologie zur Digitalisierung auf die Bühne: "Göttersimulation", so nennt sich ein Computerspiel-Genre. Der Spieler schlüpft in die Rolle (eines) Gottes und schafft sich seine Welt. Die Digitalisierung bietet unter anderem die Möglichkeit, sich eine ideale Welt im virtuellen Raum zu schaffen, ein interessantes Experiment. Und vielleicht sogar mehr als ein Experiment? Akal bringt mit "Göttersimulation" virtuelle Utopien auf die Bühne in einer Welt, in der das Leben der Figuren sich fast nur noch im virtuellen Raum abspielt. Sodass sich die Frage aufdrängt, ob das, was sich dort abspielt, nicht die eigentliche Realität ist.

In dieser neuen Realität leben Akals "junge Götter": Digital Natives, die in ihrer virtuellen Welt eben Gott spielen. Dargestellt von acht Jugendlichen zwischen 11 und 18 Jahren, die im Stück die Namen sumerischer Götter tragen. Nammu, die Göttin der Urmeere zum Beispiel, die in einem wilden Tanz den Himmel, die Erde und alle weiteren Götter geschaffen haben soll. Oder Ereškigal, die Göttin der Unterwelt. Aber wichtig ist eben: Die jungen Götterwesen auf der Bühne sollen nur Avatare darstellen. Alles, was auf der Bühne passiert, spielt in der virtuellen Realität. In dieser Welt tauchen bald zwei Alte aus der analogen Welt auf. Nicht mehr weit weg vom Ende ihres Lebens, haben sie beschlossen, auf die Suche nach der Unsterblichkeit zu gehen.

Auch hier stammt Akals Inspiration aus dem mesopotamischen Reich: Die zwei Alten sind angelehnt an den sumerischen König Gilgamesh. Das Zusammentreffen der jungen und alten Generation schafft nun Konflikte. Die Alten finden sich in der neuen Welt nur schlecht zurecht, können vieles nicht. Aber auch die Jungen wandeln nicht völlig ohne Probleme durch diese Welt, sind überfordert damit, orientiert zu bleiben und vor allem: werden heimgesucht von einer Art Geist der alten, analogen Welt. Doch einmal in die neue Welt eingetreten, gibt es kein Zurück mehr in die alte Welt.

Akals Vater stellt den Besucher aus der analogen Welt dar

Dass die Jungen auf der Bühne von Jugendlichen dargestellt werden, war Akals großer Wunsch für die Inszenierung: "Für so eine Bühne wie die Kammerspiele ist das schon eine sehr mutige Entscheidung", sagt er, "dafür bin ich wirklich dankbar." Die beiden Alten spielen Walter Hess und Akals Vater: Erkin Akal studierte am Konservatorium in Istanbul als junger Mann Schauspiel und stand dort einige Jahre auf der Bühne. Während der politischen Unruhen in der Türkei Anfang der Siebzigerjahre kam er nach Deutschland. In die deutsche Theaterwelt fand er als türkischer Geflüchteter aber keinen Einlass. "Es ist ja schon, auch immer noch, ein ziemlich abgeschlossenes System", so Akal. Jetzt, viele Jahrzehnte später, kann er seinem Vater Einlass gewähren in dieses System. Es freue ihn, dass er dazu beitragen konnte, dass sein Vater am Ende seines Lebens wieder auf der Bühne steht, sagt der Regisseur und schaut einen ganz kurzen gerührten Moment weg.

Für Bühnenbild und Kostüm haben Paula Wellmann und Annika Lu Hermann gemeinsam mit dem Künstler-Duo Mehmet & Kazim (Akal), Cousin und Bruder des Regisseurs, eine Ästhetik geschaffen, die ganz der virtuellen Welt entstammt. Alles sei erst mal virtuell entworfen worden und dann sozusagen übersetzt worden in die analoge Welt, erklärt Akal. Und er selbst hat in den vergangenen zwei Jahren viele Gespräche geführt: Mit Virtual-Reality-Experten sprach er über das Metaversum, also das, was entsteht, wenn verschiedene Handlungsräume des Internets sich zu einer Art Wirklichkeit vereinigen. Das Metaversum treiben vor allem große Unternehmen voran, die dort bereits Geld verdienen. Das Thema ist Akal ein besonderes Anliegen. Es ist ja auch eine etwas absurde Entwicklung: Firmen bieten ihre Produkte in virtueller Ausformung an und verlangen dafür Geld. Und die Menschen, die sich in dieser virtuellen Welt bewegen, kaufen die Produkte auch noch. Nicht zuletzt treiben das Metaversum also diejenigen voran, die in der virtuellen Welt Geld lassen und vor allem: viel Zeit.

Aber wichtig ist auch: "Göttersimulation" ist kein digitalisierungskritisches Stück. Die Mittel der Digitalisierung würde er "nie ankreiden", sagt Akal, "die Mittel mag ich total gerne." Es gehe ihm nur darum, dass die Gesellschaft auch mitkommen müsse mit dem rasanten Wandel. Die neuen Möglichkeiten sollen dem Menschen dienen, hört man heraus. Und man soll es sich nicht nehmen lassen, ruhig mal in utopischen Fantasien zu schwelgen angesichts der neuen Möglichkeiten. So wie Akal selbst es gerne tut: "Es könnte doch eigentlich alles so schön sein", sagt er lächelnd.

"Göttersimulation", Premiere, Sa. 5. November, 20 Uhr, Münchner Kammerspiele, muenchner-kammerspiele.de/

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