Süddeutsche Zeitung

Jugendamt München:Bei Kindeswohlgefährdung nicht handeln - das grenzt an verweigerte Hilfeleistung

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Ein Kind ist gefährdet, doch das Münchner Jugendamt will nicht jenseits des eigenen Tellerrands aktiv werden und die Polizei informieren. Eine Panne? Nein, offenbar System. Das ist erschreckend.

Kommentar von Bernd Kastner

Es könnte einfach eine bedauerliche Panne sein. Ein aufmerksamer Münchner Bürger teilt dem Stadtjugendamt mit, dass auf Facebook ein Mann damit prahlt, wie er seinen Ziehsohn schlage. Dass er dem Jungen eine "geballert" habe, weil der es einfach brauche, wie man überhaupt die ganze Jugend von heute ganz anders anpacken müsse.

Der Mann auf Facebook schreibt in einer vulgären, menschenfeindlichen Sprache. Das entsetzte den aufmerksamen Bürger, er sorgt sich um das Kind und bittet das Münchner Jugendamt, aktiv zu werden. Was aber kommt zurück von der "Stabstelle Kinderschutz"? Dreimal eine Mail, dreimal ein Danke, aber zuständig sei man nicht, weil der Prügel-Vater wohl nicht in München lebe, und überhaupt, man sei doch keine Ermittlungsbehörde, der Bürger solle bitte selbst die Polizei informieren. Das grenzt an verweigerte Hilfeleistung.

Ist dieser Fall bloß eine Panne? Nein, er offenbart einen Systemfehler. Denn dass die Fachbehörde die Verantwortung an den Bürger zurückspielt, entspricht offensichtlich den dortigen Regeln. Das muss man aus der Antwort des Sozialreferats an die SZ lesen, abgesegnet von der Referatsleitung. Die Botschaft lautet: Wir haben richtig gehandelt. Tatsächlich? Eine Fachbehörde erfährt, dass ein Kind womöglich in permanenter Gefahr lebt, und diese Behörde erklärt sich mit Blick auf den eigenen Tellerrand für nicht zuständig. Das ist erschreckend.

Nein, das Münchner Jugendamt muss nicht selbst ermitteln, es müsste die Information nur an die Polizei weiterleiten, dann wäre garantiert, dass sie wirklich ankommt. Ein Link zu dem widerwärtigen Facebook-Post hätte genügt. Das aber ist nach Ansicht des Sozialreferats zu viel verlangt. Und das in Zeiten, da alle paar Tage neue Nachrichten durch die Republik gehen von misshandelten, missbrauchten Kindern. Zu Recht wird an Bürger appelliert, aufmerksam zu sein. Ein Jugendamt muss sie darin bestärken und unterstützen.

Die Chefinnen von Sozialreferat und Jugendamt sollten über ihre Kommunikations- und Hilfestrukturen nachdenken. Handeln statt Wegschieben muss die Maxime sein. Und nein, es reicht nicht, einem aufmerksamen Bürger die Faxnummer eines anderen, vielleicht zuständigen Jugendamtes zu schicken. Als Service fürs Jugendamt sei verraten, dass die Polizei via E-Mail erreichbar ist. Geht ganz schnell und unkompliziert.

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