Süddeutsche Zeitung

Junge Kreative:Heilung und Befreiung

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Wo arbeiten Münchens junge kreative Köpfe? Wir haben sie an ihren Arbeitsplätzen besucht und ihnen über die Schulter geschaut. Heute: Haena Jung.

Von Agnes Striegan, München

Einen Koffer voll Sommerkleidung und einen Rucksack hatte Haena Jung dabei, als sie vor knapp drei Jahren von Pyeongtaek in Südkorea nach Leipzig flog. Ein Bekannter hatte ihr angeboten, seinen Atelierplatz zu übernehmen, während er Urlaub machte, und sie hatte gehört, dass die Kunstausbildung in Deutschland gut sei. Seit einem Jahr studiert sie an die Akademie der Bildenden Künste in München Kunsttherapie.

In Deutschland begann sie, Erlebnisse aus ihrem Leben zu zeichnen, auch solche, die sie wütend machten. Als würde sie ihr Tagebuch malen. "Anfangs hatte ich Angst vor dem, was ich zeichnete, weil meine Erinnerungen wieder sehr konkret wurden. Aber dann konnte ich sie wie eine Außenstehende betrachten. Das hatte einen Heilungseffekt."

Haena arbeitet viel mit Ölpastell, aber nicht nur: Für ihre erste Jahresausstellung in der Akademie hat sie Szenen aus ihrem Tagebuch mit abstraktem Spielzeug nachgestellt. Mit einer Freundin, Liyan Cai, möchte sie nun erforschen, wie Architektur und häusliche Gewalt zusammenhängen und dazu selbst einen Raum gestalten.

Auf einer meterlangen Leinwand drängen sich schon jetzt unzählige schwarze Formen, auch wenn das Gemälde noch nicht fertig ist: Menschen, Szenen aus Haenas Alltag, das Haus eines Stars, den sie als Kind mochte und das später in den Nachrichten gezeigt wurde, als der Star Suizid begangen hatte. In Südkorea, sagt Haena, sei der Konkurrenzdruck sehr hoch.

Inzwischen sind Haenas Werke oft kleiner: "Ich muss immer weitergehen. Mit großen Formaten kann man schlecht umziehen", erklärt sie. Ihr Freund lebt in Leipzig; viele der spielkartengroßen Zeichnungen, die sie in einer Tupperdose aufbewahrt, entstehen im Zug auf dem Weg zu ihm.

In Südkorea hatte Haena orientalische Malerei studiert und als Kunstlehrerin gearbeitet. "Aber ich sah, dass die Werke der anderen, mit denen ich mir das Atelier teilte, eingestaubt waren. Ich wollte nicht einstauben." In Deutschland fühlte sie sich plötzlich frei: "Niemand kannte mich. In Südkorea hatte ich mich hinter dem Bild versteckt, das andere von mir hatten." Mit der Zeit wurden ihre gezeichneten Tagebucheinträge bunter und konkreter.

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